Schimpansen ängstigen sich vor Schlangen. Dieser hier hat sich auf einen Baum geflüchtet.

Foto: Roman Wittig/MPI f. Evolutionary Anthropology

Bild nicht mehr verfügbar.

Droht die "schleichende" Gefahr, dann warnen Schimpansen insbesondere jene Kollegen, die nichts davon wissen. Damit erfüllen die Menschenaffen eine Voraussetzung für komplexe Kommunikation.

Foto: AP/Jens Meyer

Leipzig/Wien - Man kennt es aus eigener Erfahrung. Geht man durch einen Wald, so stoßen viele Tiere Alarmrufe aus, um ihre Artgenossen vor der möglichen Gefahr zu warnen. Dies geschieht, wie Verhaltensbiologen wissen, häufiger bei Anwesenheit von verwandten Tieren. Bisher gab es jedoch wenig Belege dafür, dass selbst besonders kluge Tiere den Wissensstand ihrer Gruppenmitglieder berücksichtigen.

Studien an Schimpansen, die im Zoo leben, hatten zu widersprüchlichen Resultaten geführt. Catherine Crockford von der Universität St. Andrews in Schottland beobachtete deshalb mit Kollegen ihrer Uni und Forschern vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie frei lebende Schimpansen im Budongo-Wald in Uganda, die sie mit Attrappen gefährlicher Giftschlangen konfrontiert hatten.

Video 1: Das erwachsene Männchen Squibbs marschiert vor dem Weibchen Kutu und seinen zwei Nachkommen. Als Squibbs vor ihm auf dem Pfad eine gut getarnte Schlange entdeckt, stößt er fünf Warnrufe auf und umgeht die Gefahr. Obwohl die etwas später nachkommende Kutu nicht erkennen konnte, wo die Schlange sich verbirgt, wählt auch sie eine Ausweichroute.

Konkret ging es um zwei unechte Gabunvipern und eine Nashornviper, die sich - in echt - gut tarnen und oft wochenlang am selben Fleck liegen. "Es lohnt sich also, wenn der Schimpanse, der sie entdeckt, seine Gruppenmitglieder vor der Gefahr warnt", so Crockford.

Die Biologen nahmen für ihre Untersuchung, die im Fachblatt Current Biology veröffentlicht wurde, das Verhalten von 33 verschiedenen Schimpansen unter die Lupe, die jeweils eine der drei Schlangenattrappen gesehen hatten. Bei den Beobachtungen zeigte sich, dass Alarmrufe häufiger dann ausgestoßen wurden, wenn der Rufer sich in Gesellschaft von Gruppenmitgliedern befand, welche die Schlange entweder selbst noch nicht gesehen oder frühere Warnrufe nicht gehört haben konnten.

Video 2: Die beiden ausgewachsenen Männchen Kato und Nick bewegen sich etwa 20 Meter getrennt voneinander auf einem schmalen Pfad. Kato, der voran geht, entdeckt eine Schlange auf dem Weg und warnt den nachfolgenden Schimpansen mit mehreren Rufen. Dann blickt er zurück und warnt Nick erneut. Dieser stoppt und wählt schließlich eine Ausweichroute, ohne die Schlange selbst gesehen zu haben.

"Schimpansen scheinen den Wissensstand anderer zu berücksichtigen", folgert Koautor Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. "Sie verstehen offenbar, dass sie etwas wissen, was ihr Gegenüber nicht weiß." Gruppenmitglieder, welche die Gefahr bereits kannten, wurden nämlich entsprechend seltener informiert.

Voraussetzung für Sprache

Diese neue Beobachtung könnte auch neues Licht auf die Entwicklung der Sprache werfen, die eine exklusive Errungenschaft des Menschen ist. Denn die Fähigkeit zum Bereitstellen von fehlenden Informationen an andere Gruppenmitglieder gilt für einige Evolutionsbiologen als ein wichtiger Schritt für die Ausbildung sprachlicher Kommunikation: Denn warum sollte man jemanden über etwas informieren, wenn man nicht vorher erkannt hat, dass derjenige diese Information benötigt?

Wann in der Evolution der Affenartigen beziehungsweise der Menschenartigen dieser wichtige Schritt gegangen wurde, ist wissenschaftlich ungelöst. Wie die neue Untersuchung zeigt, sind bei Schimpansen mehr Voraussetzungen für komplexe Kommunikation vorhanden als bisher gedacht. Deshalb dürfte wohl auch bereits der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schimpanse vor sechs Millionen Jahren erste Ansätze gezeigt haben. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2011)