Charles Bradley

Foto: Daptone Records

Bill Callahan

Foto: Drag City

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PJ Harvey

Foto: EPA/TORBEN CHRISTENSEN

Mopedrock!!

Foto: Gaspard Pralong

Wenn Pop tatsächlich ein Abbild der Gesellschaft sein sollte, dann gute Nacht. Sein politisches Mandat hat es 2011 nicht einmal abgeholt, geschweige denn eingelöst - bis auf ein paar selbst gestrickte Barden bei diversen Occupy-Zusammenkünften. Aber bekanntere oder gar große Namen suchte man vergeblich.

Breitenwirksame Trends gibt es nicht mehr, in diversen Sub-Sub-Genres werden zwar brav Haare gespalten, außer einige Friseure kümmert das aber niemanden. Die Vielfalt leidet darunter dennoch nicht, an der Bar der Gleichzeitigkeit konnte man 2011 Deep Soul, elektronischen Soul oder Mopedrock zugleich verinnerlichen. Machte in Summe auch lustig. Ohne besonderes Augenmerk auf Reihung ein paar Alben, die 2011 prägten.

 

Charles Bradley – No Time For Dreaming: Mein heuriges Lieblingsalbum stammt von einem 62-Jährigen und hätte schon 1967 erscheinen können. Deep Soul aus dem Hause Daptone, der neben den Größten des Fachs besteht, neben O.V. Wright und James Carr. Hätte man mir das vor einem Jahr gesagt, ich hätte nur milde gelächelt.

PlanningToRock – W: Das vielleicht schönste Album des Jahres. Michael-Nyman-Gezirpe trifft auf die abgebremsten Reste eines elektronischen Rock’n’Roll-Versuchs, der sich eben in seiner eigenen Ästhetik auflöst. Diese Kopfgeburt der Britin Janine Rostron ist auf DFA erschienen.

The Black Keys – El Camino: Danger Mouse dreht den Southern-Rock-Knopf in Richtung Glam und Pop. 1a!

Future Islands – On The Water: Seltsame Stimme, seltsame Musik zwischen New und No-Wave, angereichert um menschliches Verlangen und Abneigung gegenüber zu großem Publikum.

Hundreds – Debut Album: Ein Hamburger (Geschwister-)Duo schafft eines der schönsten elektronischen Popalben des Jahres. 80er-Jahre-Klassik trifft auf die Gegenwart, Eva Milner singt dazu in einer Mischung aus Distanzhiertheit und Emphase, als gelte es, einen Prototyp zu schaffen: Meisterwerk – und nebenbei ein überzeugendes Plädoyer für das Albumformat.

Jamie Woon – Mirrorwriting: Elektronischer Soul, der heuer von keinem sonst in dieser Dichte produziert wurde. Lief im Sommer wochenlang durch.

Moon Duo – Mazes: Während zur selben Zeit alle alten Alben von Spacemen 3 neu aufgelegt werden, spielt das Moon Duo eine Art Kinder-Pop-Version der schwer verdrogten Feedback-Gitarren-Lärmer. Aufgeregter und wahrscheinlich vegan, trotzdem sehr okay.

Wooden Shjips – West: Selbiges gilt für die Barträger aus San Francisco, deren Album West den Raumfahrern noch näher kommt also besser ist. Immerhin haben wir es dabei mit dem Mutterschiff des Moon Duo zu tun.

Rebolledo – Super Vato: Eine dieser Techno-Erscheinungen, die einen dann doch kriegt. Der Mexikaner sieht aus wie ein Pornostar aus Juarez zirka 1973 und variiert hier kindische Ideen mit locker swingendem Minimal Techno zu charmanten Kleinoden samt Stimmen und Stimmchen. Eine Zufallsbekanntschaft, die erfreut. Spitzen Cover Art!

The Rapture – In The Grace Of Your Love: Schon wegen des Stücks "How Deep Is Your Love?", der Rest fällt nur wenig ab.

PJ Harvey – Let England Shake: Frau Harvey war mir immer egal, obwohl sie eine Neigungsgruppe bedient, die durchaus meine Schwächen abdeckt. Aber dieses Album ist einfach großartig, zusammen mit dem entrückend schönen Konzert bei Primavera Sounds in Barcelona ein Highlight des Jahres.

Bill Callahan – Apocalypse: Während Bonnie Prince Billy langweilt, verdichtet Callahan seine staubtrockenen Songs endgültig zur Meisterschaft. Das beste Songwriteralbum.

Forest Fire – Staring at The X: Im noch zu entdeckenden Randgruppenfach des Disco-Folk die Platzhirschen, ausgezeichnet mit der Brian-Eno-Streber-Medaille.

The Feelies – Here Before: Nach 20 Jahren in alter Form zurück. Nervöses Gitarrenspiel, ewiggültige Melodien, Nägel beißender Nerdrock.

Lykke Li – Wounded Rhymes: Eine Sixties-Girl-Group-Frischzellenkur mit Seele und elektronischen Schokostäbchen bebröselt, das Haupthaar verwinehoused wie von selbst zum Turm.

Steve Earle – I’ll Never Get Out Of This World Alive: Nicht nur sein (mittelprächtiger) Debütroman heißt so, auch sein 11er-Album, auf dem sich der liberale Redneck mit Stücken wie "Gulf Of Mexico" in Höchstform zeigt.

David Lynch – Crazy Clown Time: Lynch übersetzt seine Filme in Musik. Das ergibt die beste Portishead-Platte 2011, die besseren Geschichten sowieso.

 

Österreichs Superstars:

Mopedrock!! – Vasistas:  In einem Jahr mit vielen sehr guten heimischen Alben, überholt das Wiener Quartett Mopedrock am Ende doch alle. Zwischen frankophiler Atemlosigkeit und Punkrock-Wurschtigkeit entstand dieses Debüt, dessen Dringlichkeit ebenso überzeugt wie der Charme des Unperfekten. Très süpär.

Ja, Panik – DMD KIU LIDT: Liebe wird aus Mut gemacht: Nicht nur der Bandname erscheint immer zwingender, auch die in Songs gebrachte Verweigerungshaltung von Ja, Panik überzeugt. Schpex lobt DMD KIU LIDT gar zum Album des Jahres aus – ob das gut oder schlecht ist, möge jede/r selbst einordnen.

Clara Luzia – Falling Into Place: Charmante Seufzerbrücken zwischen Überzeugung und Selbstzweifel.

The Happy Kids – Play Their Own Songs: Die Diaspora von Hasil Adkins erreicht Österreich. Rock’n’Roll auf zwei Instrumenten, gespielt mit vier gestreckten Mittelfingern.

Bo Candy & His Broken Hearts – Same: Ein ernsthafter Versuch sich mit Rock’n’Roll und Blues zu beflecken mündet in eines der besten heimischen Alben: Gebrochene Herzen pflastern seinen Weg.

Elektro Guzzi – Parquet: The Schmäh is already old, aber er überzeugt immer noch, auch wenn die wahre Größe von EG nur im Konzert zutage tritt.

Kreisky – Trouble: Wickel versprochen und genussvoll eingelöst. Ein paar Watschen für Schauspieler haben noch nie geschadet.

Makossa & Megablast – Soy Como Soy: Lässiger Spätsommer-Soundtrack für Terrassengrillage und Bierverzehr.

M185 – Let The Light In: Krautrock auf österreichisch, gewürzt mit Chicago-Hausmarke und verhaltenem Swing.

 

Reissues:

Ebo Taylor – Life Stories: Diese Kompilation präsentiert das Frühwerk des aus Ghana stammenden Gitarristen Ebo Taylor. Unter dem Einfluss US-amerikanischer Soul-Musik überführte er Afrobeat und Highlife in mitreißende Songs, blieb dabei fantasievoll und stringent: ohne Weltmusik-Mief, ohne nervige Eskapaden.

This Mortal Coil – TMC: Diese Box versammelt die drei Alben der britischen Band, die mit ihren überästhetisierten Coverversionen in den 1980ern Depro-Grufties ebenso überzeugen konnten wie unsereiner. Musik wie der Nebel überm Friedhof der Namenlosen.

Giant Sand – The Love Songs, Ramp, Center Of The Universe: Drei der besten Alben dieser besten aller Desertrock-Bands. Der Karies am Zahn der Zeit belegt, diese Alben überzeugen bis heute mit Einfallsreichtum, höherem Irrsin, Spiellaune und Nachdrücklichkeit. More to come!

Rowland S. Howard – Teenage Snuff Film: In einer exklusiven 500er-LP-Edition wurde das Solodebüt des vor zwei Jahren verstorbenen Gitarristen (The Birthday Party, Crime and the City Solution, These Immortal Souls ...) neu aufgelegt. Schon der Titel weckt cinemascopische Assoziationen bei diesen mattschwarzen Exkursionen in eine verlorene Seele. Klassikaner.

 

An der Hose vorbei:

James Blake – Same: Wie meinte "Spiegel online" treffend: Viel Ästhetik, kein Gefühl.

Bon Iver: Stehend k.o bin ich selber.

Atlas Sound – Parallax: Leere Hose in Crooner-Pose.

 

Konzerte:

Gonjasufi (Donaufestival)

Lyle Lovett (Wuk)

Joan As Policewoman (Wuk)

Charles Bradley (Rathausplatz)

PJ Harvey (Primavera)

Matthew Dear (Primavera, zeitgleich mit Harvey, deshalb beide nur halbert gesehen)

Rubik (Waves)

(Karl Fluch, 2.1.2012, derStandard.at)