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Mohammad Rasoulof: Filmemacher betreiben Selbstzensur.

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Eine Frau, die mit allen Mitteln versucht, den Iran zu verlassen: Mohammad Rasoulofs Film "Bé omid e didar / Good Bye". 

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Standard: Ist es schwierig, über Dinge zu sprechen, die nicht unmittelbar mit Ihrem Film zu tun haben?

Rasoulof: Das ist sicher so. Ich fühle mich als Filmemacher. Wenn politische Aspekte in meinem Film gesehen werden, dann deshalb, weil ich mich an den Menschen und Schicksalen orientiere, die ich kenne.

Standard: Gestatten Sie mir trotzdem eine Frage zu Ihrer Situation. Das Urteil gegen Sie wurde im Oktober auf ein Jahr Haft reduziert. Was ist mit dem Berufsverbot?

Rasoulof: Ich hatte gar kein Arbeitsverbot, das galt nur für Jafar Panahi. Aber wir waren beide zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Situation ist für mich selbst sehr unklar, ein Schwebezustand. Natürlich kann ich meine Freude darüber, dass das Urteil reduziert wurde, nicht verbergen, aber die Wahrheit ist, dass der Druck auf das iranische Kino weiterhin besteht. Viele iranische Dokumentarfilmer wurden in den letzten Wochen unter Druck gesetzt, einige von ihnen waren im Gefängnis.

Standard: Mojtaba Mirthamasb hat zusammen mit Jafar Panahi "This is not a Film" gedreht, einen Film, in dem Panahi seine prekäre Situation zum Thema macht.

Rasoulof: Das alles weist über eine private Angelegenheit weit hinaus. Ich weiß nicht, welche Zukunft uns erwartet.

Standard: Wie konnte Ihr Film unter diesen Bedingungen entstehen?

Rasoulof: Man braucht zwei Genehmigungen. Zuerst muss man das Drehbuch einreichen und dafür eine Lizenz erhalten, bevor man zu filmen anfangen kann. Und man muss den fertigen Film zeigen, damit man weiß, ob man diesen Film ins Kino bringen darf.

Standard: Wo reicht man das denn ein? Bei der Zensurbehörde des Ministeriums für Kultur?

Rasoulof: Ja. In der ersten Phase ist die Zensur sehr streng. Wenn Sie eine Genehmigung für das Drehbuch beantragen, das Ihnen vorschwebt, dann ist das eigentlich unmöglich. Deshalb versuchen die Filmemacher in dieser Phase sehr vieles von dem auszusparen, was sie sich vorgenommen haben. Sie betreiben Selbstzensur, damit sie die Genehmigung bekommen. Sobald sie die haben, ist es einfacher. Man kann dann anfangen zu drehen.

Standard: Wie war das denn bei "Good Bye"?

Rasoulof: Als ich aus der Untersuchungshaft kam, habe ich mich dafür entschieden, mich nur mit Dingen zu beschäftigen, die mit Film zusammenhängen, nicht mit Politik. Einen neuen Film zu drehen war die einzige Sache, die mir helfen konnte, diese Probleme hinter mir zu lassen und zugleich zu artikulieren, was in meiner Umgebung geschieht. Ich habe also sofort eine Geschichte entwickelt, war mir aber so gut wie sicher, dass ich mit diesem Drehbuch keine Genehmigung bekommen würde. Deshalb habe ich angefangen, meine eigene Geschichte zu zensieren. Ich habe mich an die Stelle derjenigen versetzt, die Zensur betreiben, und von deren Warte aus geschrieben.

Standard: Heißt das, dass Sie tatsächlich zwei Drehbücher schreiben? Eines, das das Ihre ist, und eines, das die von Ihnen selbst zensierte Version darstellt?

Rasoulof: Manche Szenen habe ich nur in meinem Kopf, andere schreibe ich nieder, und dann korrigiere ich sie. Das zum Beispiel, was im Fahrstuhl passiert, habe ich nicht aufgeschrieben. Der Zensurbehörde lieferte ich ein harmloses Drehbuch, trotzdem haben sie mir keine Erlaubnis erteilt. Das brachte mich sehr durcheinander, ich wusste nicht, was ich tun sollte - offenbar hatte ich nicht genug zensiert. Mithilfe des Hauses des Filmes - eine einigermaßen unabhängige Einrichtung der Filmemacher - konnte ich dann doch noch eine Drehgenehmigung erhalten.

In diesem Zeitraum hat das Gericht getagt, und ich bin zu sechs Jahren verurteilt worden. Ich dachte, jeden Moment könnte man mich ins Gefängnis stecken. Deshalb habe ich rasch angefangen, diesen Film zu drehen. Aber bis zur letzten Minute habe ich mit mir gerungen, was ich machen sollte. Das, wozu mir Zensurbehörde die Erlaubnis erteilt hat? Oder das, was mir ursprünglich vorschwebte?

Standard: Und Sie haben dann ja einen sehr direkten, entschiedenen, klaren Film gedreht.

Rasoulof: Ich habe verdrängt, was mir passieren könnte. Meine größte Sorge war die Unsicherheit, ich wusste nicht, womit ich konfrontiert würde. In diesem Schwebezustand habe ich mir vorgenommen, zu glauben, dass nichts passiert ist. So konnte ich arbeiten.

Standard: Gegen Ende sagt die Hauptfigur: "Wenn man sich im eigenen Land als Fremder fühlt, ist es besser, fortzugehen und sich in der Fremde als Fremder zu fühlen."

Rasoulof: Das betrifft die Protagonistin, mich betrifft es überhaupt nicht. Ich bin ganz klar der Meinung: Ich fühle mich lieber in meinem eigenen Land fremd als in einem anderen. Das bedeutet, dass ich meine Filme im Iran drehen möchte, denn dort kenne ich die Situation.

Standard: Der Ehemann Ihrer Protagonistin ist abwesend, sie lebt wie eine alleinstehende Frau. Ihr Film macht anschaulich, wie eng ihr Spielraum deshalb ist.

Rasoulof: Das gehört ja zu den Schwierigkeiten einer Frau im Iran, zu ihrem Alltag. So etwas im Iran darzustellen ist fast überflüssig, weil es so alltäglich ist. Und alle haben sich daran gewöhnt.

Standard: Dass sich alle daran gewöhnt und Strategien entwickelt haben, wie sie damit umgehen, sieht man ja auch im Film.

Rasoulof: Das ist der einzige Weg zu überleben: Man versucht auf individueller Ebene, das Leben, das man führen soll, einfach zu umgehen und sein eigenes Leben zu leben. Das führt aber zu einem Vertrauensverlust - man entwickelt Misstrauen gegenüber jedem Menschen, weil man dauernd in Angst lebt und immer besorgt ist, dass man doch zur Verantwortung gezogen wird für etwas, was eigentlich zu den ganz basalen Lebensrechten jeder Person gehört.

Standard: Ist "Good Bye" eigentlich in Teheran zu sehen gewesen?

Rasoulof: Nein. Keiner meiner Filme lief in Iran im Kino. (Cristina Nord, DER STANDARD/Printausgabe 4. Jänner 2012)