Katja Peglow, Jonas Engelmann (Hg.): Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer Bewegung.
Ventil Verlag 2011

Cover: Ventil Verlag

1993 erschien das dritte Album von Bikini Kill "Pussy Whipped" auf dem Label Kill Rock Stars, u.a. mit der Riot Grrrl Hymne "Rebel Girl".

Darin sing Hanna: "When she talks, I hear the revolutions
In her hips, there's revolutions
When she walks, the revolution's coming
In her kiss, I taste the revolution."

Cover: Bikini Kill/Pussy Whipped

Ringelsöckchen, Zöpfe und kurze Kleider - so präsentierte sich zu Beginn der 1990er eine Generation an jungen Feministinnen auf den Musikbühnen der USA. Gepaart mit verschmiertem Lippenstift, Leichenpuder (Marke Courtney Love) und einer Höllenwut im Bauch, die sie über brachialen Punk-Riffs von der Bühne schrien, machten sich junge Feministinnen auf den Weg, eine Riot Grrrl Revolution auszurufen. Ihre Angriffspunkte: Die Themen- und Benimmcodes der männlichen Punk-Szenen in den US-amerikanischen Städten und die gesellschaftlichen Strukturen, die Mädchen gemeinhin als dumm, böse oder auch schwach qualifizierten.

20 Jahre später ist über die Riot-Grrrl-Szenen in Olympia (Bundesstaat Washington) und ihre bekanntesten Vertreterinnen wie Bikini Kill, Brat Mobile, Heavens-To-Betsy, L7, die frühen Hole oder auch Team Dresch vieles gesagt worden. Viele ihrer revolutionären Grabenkämpfe wurden über die Jahre der popkulturellen und popfeministischen Geschichte aber auch verschüttet.

Was blieb übrig von der Revolution?

Wo sind die Protagonistinnen der damaligen anarchistischen Formationen heute? Welche Ausläufer fand die Bewegung in Europa? Und wo sind die Früchte der Bewegung in der heutigen Popkultur zu finden? Fragen wie diese und noch viele weitere versucht der Reader "Riot Grrrl Revisited", erschienen 2011 im deutschen Ventil-Verlag, zu klären. Die beiden zu spät geborenen HerausgeberInnen Katja Peglow und Jonas Engelmann haben, wie sie in der Einleitung betonen, keine "objektive Geschichtsschreibung" über diese bewegten Jahre der US-amerikanischen Punk- und Indie-Geschichte abgeliefert, sondern ein vielstimmiges Stück Fan-Geschichte, das eben gerade das Erbe dieser Bewegung auslotet.

So erfahren wir darin z.B., warum die Riot Grrrls in Deutschland nie Fuß fassen konnten und was genau die Unterschiede zwischen Riot Grrrl und den darauf folgenden Lady Festen war. Besonders interessant ist auch der Beitrag von Engelmann, der die zentralen Themen der Riot Grrrl-Songtexte analysierte. Er arbeitet heraus, wie wichtig es den Riot Grrrls war, ein eigenes künstlerisches Bezugssystem innerhalb eines frauenfeindlichen bzw. frauennegierenden gesellschaftlichen und kulturellen Umfeldes zu kreieren. Der aktive und stolze Bezug auf andere (feministische) Künstlerinnen gehörte ebenso zum guten Ton der Grrrls wie ihr unbändiger Wille zu Selbstbewusstsein und Autonomie für Frauen. Die Thematisierung von selbst erlebten traumatischen Erfahrungen mit Gewalt oder Ausschluss waren weitere gewichtige Inputs.

Medialer Hype und Hass

Heraus kommt auch: Die Rebellion der Grrrls erregte in den USA und Großbritannien viel mediales Aufsehen. Nach der ersten Rezeption innerhalb der Musikszenen folgten sogleich Features in Sassy, Newsweek, LA Weekly oder auch Melody Maker. Parallel zur Bewunderung für die neue Wucht der Frauenbewegung erntete die Szene aber vor allem in den Mainstream-Medien viel Spot: neben dem Vorwurf, nicht spielen zu können, verbreiteten ihre GegnerInnen auch das Bild vom elitären Szene-Zirkel und eines aggressiven Männerhasses unter den Aktivistinnen.

Im Herbst 1992 reagierten die ProtagonistInnen auf den nicht mehr steuerbaren Hype mit einem Medienboykott: Bands, Fanzine-HerausgeberInnen und VeranstalterInnen stellten angesichts des gewaltigen Hypes die Zusammenarbeit mit Außenstehenden einfach ein. 

Feminismus in emotionale Sprache übersetzt

Auch wenn der Medienboykott manchen Aktivistinnen vor allem in der Rückschau "viel zu defensiv" erscheint, so konnte sich die Szene dennoch in Abschirmung von der Mainstreampresse für die nächsten Jahre gut entwickeln. Die Riot Grrrl Revolution ging als die bis dato weitreichendste und größte feministische Musikbewegung in die Popgeschichte ein. Corin Tucker, Sängerin von "Heavens to Betsy" und "Sleater Kinney", spricht aus, was wohl für viele jugendliche Frauen damals der ausschlagende Punkt war, sich dem feministischen Punkrock zu verschreiben. Auf die Frage, wie es war, "Bikini Kill" live zu sehen, antwortete sie: "Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich, wie Feminismus in eine emotionale Sprache verwandelt wurde. Dass ich dabei zusah, wie sich diese Gedankengänge und Ideen mit persönlichen Inhalten vermischten."

Musikalische Weiterentwicklung

Mit den Jahren wurde den Riot Grrrls abseits ihres feministischen "Nahkampfs", wie es die Grether Schwestern im Interview benennen, allerdings der musikalische und stilistische Rahmen zu eng. Bis zum Ende der 1990er hatten sich alle relevanten Riot Grrrl-Bands der ersten Stunde aufgelöst. Es schien so, als ob sich die Mädchenattitüde gepaart mit feministischen Texten und punkrockiger Soundunterlage abgenützt hatte. Die Frauen hörten jedoch nicht auf, Musik zu machen, sondern gründeten neue Formate, in den vor allem ein Wille zur musikalischen Weiterentwicklung und Neuorientierung hörbar wurde. Kathleen Hannas Seitenprojekt "Julie Ruin" mündete in die elektronische Dance-Performance-Formation "Le Tigre", aus Teilen von "Heavens to Betsy" wurden "Sleater Kinney". In Europa gründeten sich Bands wie "Chicks on Speed", die über elektronischem Dance feministisches Bonding predigte, um nur einige wenige zu nennen.

Der Spirit der Riot Grrrls ist auch in Popstars wie Beth Ditto von Gossip oder Peaches zu spüren. Sie alle nützen ihre Position, um gegen sexistische Normen im Popbusiness anzukämpfen. Stilistisch sind den feministischen Sirenen heute keine Genre-Grenze mehr gesetzt im Gegensatz zu den 1990ern. Und das hat, bei allem Kummer, in den 90ern einfach zu jung gewesen zu sein, wahrlich auch sein Gutes. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 5.1.2012)