Die niederösterreichischen Roten sind auch im Ausland umtriebig: Dass ein SP-Mandatar sich in das Kondolenzbuch von Kim Jong-il eingetragen hat, will Josef Leitner nicht kommentieren.

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Standard: Seit wann sind Sie eigentlich so zart besaitet?

Leitner: In Niederösterreich darf man als Sozialdemokrat nicht zart besaitet sein.

Standard: SP-Klubobmann Leichtfried nennt als Grund für das Ende der Proporzgespräche die Angriffe der VP auf Sie. Die sind doch nichts Neues, oder?

Leitner: Es hat im Wesentlichen zwei Gründe, weshalb Günther Leichtfried die Verhandlungen abgebrochen hat: die Nichtbereitschaft der ÖVP, eine sinnvolle Systemdiskussion zu führen - und die Fokussierung der Abschaffung oder Beibehaltung des Proporzes auf meine Person. Wir haben in Niederösterreich viele demokratiepolitische Probleme. Klaus Schneeberger (Klubobmann der VP, Anm.) hat gesagt, jetzt schaffen wir den Proporz ab, über Mitbestimmungsrechte reden wir später. Da haben wir gesagt: Vergessen wir das.

Standard: Im Sommer war die Proporzabschaffung für Sie aber durchaus eine Option?

Leitner: Ich lese Ihnen den einzigen Satz vor, den ich wirklich gesagt habe. "Bevor wir über eine Abschaffung des Proporzes nachdenken, müssen wir zuerst das gesamte politische System in Niederösterreich überarbeiten."

Standard: Die ÖVP stellt es so dar, dass zwölf von 13 Punkten bereits ausverhandelt waren.

Leitner: Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Es hat ein Abtasten zwischen den Klubobleuten gegeben, aber der Kern ist überhaupt nicht bearbeitet worden.

Standard: Halten Sie Niederösterreich für undemokratisch?

Leitner: Ich finde es unglaublich, dass von den Landesregierungsbeschlüssen bis zu Fördervergaben alles geheimnisvoll abgearbeitet wird. Das entspricht nicht einem demokratischen System des Jahres 2012. Die Demokratisierung von Dienstleistungen muss vorangetrieben und in die Gemeinden verlagert werden, etwa bei Kindergärten und Pflege. Und es gibt den Punkt Landtag, da geht es etwa ums Rederecht.

Standard: Es befasst sich auch der VfGH mit dem Proporz in Niederösterreich. Wann gibt es ein Ergebnis?

Leitner: Wir gehen davon aus, dass der Gerichtshof im März seine Meinung artikulieren und die Geschäftsordnung der Landesregierung kritisieren wird. Der Proporz wird bei uns nicht gelebt, etwa in Hinblick auf Budgetverantwortlichkeit oder die Autonomie der Ressorts.

Standard: Interessiert das Thema Proporz am Stammtisch?

Leitner: Für viele Menschen hat Proporz etwas von Freunderlwirtschaft. Die Leute sagen prinzipiell: Arbeitet zusammen! Das ist unter Landeshauptmann Pröll aber so nicht möglich.

Standard: Es gab eine Umfrage zu Studiengebühren, aufgrund von deren Ergebnis Sie eine Akademikersteuer zu fordern. Machen Sie Politik nach Umfrageergebnissen?

Leitner: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sagt, auch die Studenten sollen ihren Beitrag dazu leisten, dass die Hochschulen finanzierbar bleiben. Gleichzeitig vertritt die Sozialdemokratie das Bild, dass jede zusätzliche Belastung für Studierende dazu führt, dass Kinder aus niedrigeren Einkommensklassen noch seltener ein Studium beginnen. Ich sehe eine Akademikersteuer als den Weg, jene, die erfolgreich abgeschlossen haben, einzuladen, einen Beitrag zu leisten, dass ihre Nachfolger entsprechende Studienplatzbedingungen vorfinden. Dann gehört aber auch die Qualität der Unis kontrolliert.

Standard: Wie wäre das konkret?

Leitner: Ab der ASVG-Höchstbemessungsgrundlage, zur Zeit 4230 Euro, sollte jeder Akademiker einen Beitrag in Form einer etwas höheren Steuerprogression leisten - ein, zwei Prozent, zweckgebunden. Das betrifft sechs Prozent der Erwerbstätigen, zu einem hohen Grad Akademiker ab dem 35., 40. Lebensjahr. Ich sehe das schon so, dass Leute wie Bürgermeister Häupl oder auch ich eine solche Steuer zahlen sollten.

Standard: Bei dem Thema gibt es in der SPÖ verschiedene Meinungen. Wo sehen Sie da Bewegung?

Leitner: Bei den Studiengebühren bleibt es beim Nein. Aber ich glaube, wie ich es mache, geht es.

Standard: Gibt es dahingehend konkrete Signale?

Leitner: Ich habe sehr, sehr viel positives Feedback bekommen, auch von Teilen der Bundespartei. Und im Übrigen ist das nicht eine Politik nach Umfragen. Das wäre dann der Fall, wenn man ein Thema abfragt und einen Meinungsschwenk macht, wenn die Bevölkerung das anders sieht als die Politik. Wir kommen zu einer Meinung und checken dann in der Bevölkerung ab: Geht's oder nicht?

Standard: Aber was ist mit unpopulären Entscheidungen?

Leitner: In manchen Bereichen muss man knallharte Entscheidungen treffen. Das Stimmungsbild der Bevölkerung überhaupt nicht zu berücksichtigen, halte ich aber für einenFehler.

Standard: Wer soll außer ehemaligen Studenten einen Beitrag zur Budgetkonsolidierung leisten?

Leitner: Erstens: Ab 250.000 Euro Jahreseinkommen eine Erhöhung der Lohnsteuer von 50 auf 55 Prozent - ein zweckgebundener Teil ist dieAkademikersteuer, der Rest soll ins Budget fließen. Zweitens: Es gibt drei Möglichkeiten der Vermögenssubstanzbesteuerung - die klassische Vermögenssteuer ab einer Million Euro Vermögen, die Erbschaftssteuer und die Grundsteuer, und da deklariere ich mich ganz deutlich: Die Tatsache, dass die Einheitswerte zur Bemessung der Grundsteuer aus den 70er- und 80er-Jahren kommen, zeigt, dass da eine Menge Geld drin ist - für die Gemeinden. Dann: Die Flächenumwidmungsabgabe, die Spekulationsfrist auf Immobilien, da könnte man 25 Prozent Steuern einführen. Bei den Absetzbeträgen und Freibeträgen gibt es auch eine Menge einzusparen.

Standard: Also Ja zu Vermögenssubstanz- und -zuwachssteuern?

Leitner: Selbstverständlich, wo soll denn das Geld sonst herkommen? Wir haben einen Einsparungsbedarf von zehn Milliarden Euro bis 2017.

Standard: Erwin Pröll hätte gerne, dass die Länder in manchen Bereichen Steuerhoheit haben.

Leitner: Um Gottes willen! Man stelle sich vor, die Länder können die Grundsteuer organisieren: Da entstünde ein Wettbewerb mit neun verschiedenen Steuersystemen. Das ist nicht akzeptabel. (Andrea Heigl, Gudrun Springer, DER STANDARD, Printausgabe, 5.1.2012)