Noch keinen Tag war das neue Jahr alt, schon wurde der erste Abschied vermeldet: "Das Ende der Sozialdemokratie, es ist jetzt gekommen und ist jetzt da", schreibt Elfriede Jelinek auf ihrer Webpage und meint über Laura Rudas und Niko Pelinka: "Diese beiden sympathischen, netten jungen Leute sind ihre Totengräber, sie sind ihr Ende."

Zugegeben: Die Assoziationen "nett" und "sympathisch" in Bezug auf Laura Rudas entbehren nicht einer gewissen literarischen Exzentrik, und ob die beiden SPÖ-Kindersoldaten sich beim Grab-Ausschaufeln nicht ebenso heillos überheben wie bei ihren sonstigen Aktivitäten, sei dahin gestellt.

Aber mit einer anderen Diagnose sozialdemokratischer Befindlichkeiten trifft die Nobelpreisträgerin punktgenau: "An diesen Mädeln und Buben tritt nichts zutage, was Substanz sein könnte", meint sie und folgert daraus: "Das Nichts regiert."

Zur Überprüfung dieser These ein kleines Quiz: Im SchülerStandard vom 21. 12. 2011 wird Werner Faymann gefragt, was das höchste Ziel eines Politikers sei. Was glauben Sie, war seine Antwort? Frieden? Mehrung des Wohlstandes? Soziale Gerechtigkeit? Nachhaltige Reformen? Weit gefehlt. Laut amtierendem Bundeskanzler der Republik Österreich ist es das höchste Ziel eines Politikers, "gewählt zu werden".

In geradezu entwaffnender Ehrlichkeit bekennt er also, was in seinen Augen der Sinn von Macht ist: ihr Erhalt.

Hier lacht uns tatsächlich das Nichts in völliger Unbefangenheit entgegen. Es erinnert an einen Künstler, der "möglichst viel Geld verdienen" als Hauptmotivation seiner Arbeit bezeichnet. Das kommt vor, ist aber meistens kokett oder zynisch gemeint, und wenn es tatsächlich so ist, wird der Betreffende sich hüten, das offen auszusprechen.

Nicht so Faymann, für den völlig unzweifelhaft ist, dass man es "als Politiker falsch gemacht hat", wenn man für "richtige Maßnahmen abgewählt wird", und der im gleichen Gespräch erklärt, "dass man als Regierungschef sowieso von vornherein als Langweiler gilt". Eine ungewöhnliche Erkenntnis für den Vorsitzenden einer Partei, die sich bis zum heutigen Tag auf Bruno Kreisky beruft. Aber der hat ja auch den Fehler gemacht, Gestaltung wichtiger zu nehmen als Erhaltung, was wohl zwangsläufig zu seiner Abwahl geführt hat.

Das soll einem Werner Faymann nicht passieren, und deshalb braucht auch bei ihm und in seinem nächsten Umfeld nichts zutage treten, was Substanz sein könnte.

"Um eine Erkenntnis zu gewinnen, muss es eine Differenz geben, man muss erkennen können, wo sich ein Gegenstand vom anderen unterscheidet", klagt Elfriede Jelinek über politische Leere und Mittelmaß, doch der Kanzler liest lieber Eva Dichand. "Handy aus Kanal gefischt - Faymann half Mädchen am Spielplatz" lässt diese eine Heute-Schlagzeile verkünden. "Er war sehr sympathisch", weiß dort ein 13-jähriges Mädchen zu berichten, und ihr Vater, der zufällig Pressesprecher der Wiener Polizei ist, ergänzt pflichtbewusst: "Ungewöhnlich für einen Kanzler. Ich sage: Danke!"

Ob Österreichs Sozialdemokratie wirklich tot ist, wird sich weisen. Dass man sich für einige ihrer führenden Repräsentanten zu Tode genieren könnte, steht jetzt schon fest. (DER STANDARD; Printausgabe, 5./6.1.2012)