Truger: "Der größere Spielraum, den sich die deutsche Regierung erschlichen hat, zeigt, dass die Regierung der großartigen Idee der Schuldenbremse selbst nicht traut."

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Keine Vollbremsung ohne Bremsspuren: Der Schuldenabbau geht nicht ohne Reibungen über die Bühne - die Gewerkschaften wollen No-go-Areas abstecken.

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STANDARD: Österreich soll wie die ganze EU die deutsche Schuldenbremse übernehmen. Erfreulich?

Truger: Nein, das ist keine gute Nachricht. Diese Idee wird noch viel Schaden anrichten.

STANDARD: Wieso?

Truger: Europa droht ein Konjunktureinbruch, doch die Pläne zum Abbau der Budgetdefizite nehmen darauf keine Rücksicht. Dieser Kurs ist für ein Land allein schon schlimm genug, aber schlicht katastrophal, wenn er für die gesamte EU verordnet wird. Das Prinzip "So schnell wie möglich, so hart wie möglich" droht den Euroraum in eine tiefe Rezession zu stürzen, gefolgt von jahrelanger Stagnation. Statt simultan in die Krise hineinzusparen, müssten die EU-Staaten das Wachstum mit Investitionen stimulieren.

STANDARD: Entscheidend für die Schuldenbremse ist das strukturelle Defizit, aus dem Konjunkturschwankungen rausgerechnet werden sollen. Ist der Spielraum zum Gegensteuern da nicht groß genug?

Truger: Eben nicht, dieser Spielraum ist schnell weg. Das Defizit wird nach undurchsichtigen Verfahren berechnet, die auf statistischen Trends basieren und den Nachteil haben, dass konjunkturbedingte Einbrüche sehr rasch als strukturell interpretiert werden. Nach zwei, drei Jahren Stagnation wird eine Politik, die auf die Konjunktur Rücksicht nimmt, fast unmöglich. Man begibt sich in die Hand eines statistischen Verfahrens und verliert jeden Einfluss.

STANDARD: Fährt Deutschland mit der Schuldenbremse nicht gut?

Truger: Die deutsche Regierung hat sich doch selbst mit Budgettricksereien größeren Spielraum erschlichen. Das war sinnvoll, damit der Sparkurs nicht noch schärfer ausfiel - zeigt aber, dass die Regierung der großartigen Idee der Schuldenbremse selbst nicht traut. Nein, Deutschland taugt nicht als leuchtendes Beispiel.

STANDARD: Das Vertrauen der Finanzmärkte hat Deutschland.

Truger: Aber nicht wegen der Schuldenbremse, sondern weil Schulden und Defizite im Rahmen sind, riesige Leistungsbilanzüberschüsse bestehen und die wirtschaftliche Lage relativ gut war. Es ist lächerlich, zu glauben, dass institutionelle Schuldengrenzen eine Marktpanik beenden - das kann nur die Europäische Zentralbank, indem sie eine Garantie für die Eurostaaten signalisiert. Österreich sollte sich von dieser Panik nicht treiben lassen.

STANDARD: Sondern?

Truger: Wenn Österreichs Regierung glaubt, eine Schuldenbremse zu brauchen, dann sollte sie wenigstens nichts überstürzen: Sie sollte den Defizitabbau zeitlich strecken und nicht panisch schon dieses Jahr große Kürzungen vornehmen, um willkürliche Limits zu erreichen. Am besten wäre aber, die starken EU-Länder fahren einen abgestimmten, investitionsfreundlichen Budgetkurs, um die schwachen mitzuziehen.

STANDARD: Konjunkturschonender Schuldenabbau ist nicht möglich?

Truger: Natürlich gibt es Unterschiede. Einnahmenseitige Maßnahmen schaden dem Wachstum im Schnitt nur halb so stark wie Einsparungen. Wenn man dann noch die hohen Einkommen trifft, die zu einem großen Teil gespart werden, wird der Effekt auf die Wirtschaft relativ gering sein.

STANDARD: Defizite aus schlechten Zeiten würden später nie abgebaut, sagen die Schuldenbremsen-Fans - deshalb brauche es Zwang.

Truger: Das Argument stimmt einfach nicht. Im Aufschwung von 2006 bis 2008 hat Deutschland ein Defizit von über drei Prozent in einen leichten Überschuss verwandelt - ganz ohne Schuldenbremse. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2012)