Zum ersten Mal seit Jahren werden die Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem nächsten EU-Gipfel in Brüssel die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise am eigenen Leib verspüren. Das Treffen sollte am Montag, 30. Jänner, stattfinden. An diesem Tag jedoch wird es in der EU-Hauptstadt eher ungemütlich sein - wegen eines Generalstreiks gegen all die schmerzhaften Spar- und Steuermaßnahmen, die die neue belgische Regierung soeben beschlossen hat.

Premier Elio di Rupo, der im Dezember erstmals an einem EU-Gipfel teilnahm und dabei gleich den neuen Euro-Fiskalpakt mitbeschloss, hat ganze Arbeit geleistet, um den rigorosen Schuldenabbau anzugehen, gegen den seine Landsleute jetzt protestieren. Die Staats- und Regierungschefs der EU treten nun im Sinn des Wortes eine Flucht nach vorne an: Der Gipfel wurde um einen Tag nach vorne verlegt; auf Sonntag, wenn die Belgier ihren Familientag haben.

Hauptthema wird die Krise der Eurozone sein, der Stand der Umsetzung der Notmaßnahmen zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung. Im Zentrum steht aber vor allem der neue Fiskalpakt, den einige Eurostaaten auf bilateraler Ebene so rasch wie möglich abschließen wollen. Dieser wird anstelle einer echten Reform des EU-Vertrages stehen, die wegen des britischen Vetos ausgefallen ist. EU-Länder, die nicht dem Euroraum angehören, sollen aber, wie berichtet, freiwillig mitmachen können. Bei der zweiten Verhandlungsrunde über den Pakt hielt sich die Begeisterung am Donnerstag in engen Grenzen.

Wie von Deutschland und Frankreich im Dezember vorgegeben, sieht der unter Ratspräsident Herman Van Rompuy erarbeitete Entwurf wenig Mitsprache für EU-Institutionen vor. Grundsätzlich ist geplant, dass die Staaten in ihren Verfassungen Schuldenlimits (eine "Bremse") einbauen; und dass eine Klagemöglichkeit beim Europäischen Gerichtshof geschaffen wird, sollte ein Land gegen Auflagen verstoßen. Der bilaterale Fiskalpakt würde die Regeln im EU-Vertrag nur ergänzen.

Auf beiden Feldern dürfte eine juristisch eher vorsichtige Formulierung übrigbleiben: Zum einen wäre die verfassungsmäßige Verankerung nicht Pflicht. Zwingend soll nur eine "ähnlich bindende" Lösung sein. So sollen Volksabstimmungen über eine Verfassungsänderung in Irland oder Dänemark umgangen werden.

Und es dürften nur Staaten, nicht aber die Kommission als EU-Zentralbehörde die Möglichkeit erhalten, sich an das EU-Höchstgericht zu wenden.

Staaten im Alleingang

Überraschend sei das nicht, sagt ein in die Verhandlungen involvierter EU-Abgeordneter, "Staaten können untereinander vereinbaren, was sie wollen". Das Parlament nimmt wie die Kommission eine skeptische Haltung ein und verlangt, dass der Pakt nach fünf Jahren automatisch in EU-Recht und -Kompetenz übergeht. Aber Paris und Berlin sind entschlossen, die neuen Regeln noch im Frühjahr über die Bühne zu bringen.(Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 13.1.2012)