Simon Schaffer: "Bei Uni-Rankings bin ich Fundamentalist: Es bedarf keiner Ranglisten. Sie haben keinerlei Wert."

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Klaus Taschwer sprach mit ihm über Uni-Rankings, neue Managementstrukturen an den Hochschulen und die Lage der Geisteswissenschaften.

Dass es heute in England hippe junge Leute gibt, die sich wie zur Zeit Queen Victorias kleiden, geht auch auf Simon Schaffer zurück. Einige seiner frühen Texte über den englischen Computervordenker Charles Babbage (1791-1871) regten nämlich die Science-Fiction-Autoren William Gibson und Bruce Sterling zum Buch Die Differenzmaschine an, dem Schlüsselroman der sogenannten Steampunk-Bewegung. Diese wiederum basiert auf der Fiktion, dass es im 19. Jahrhundert mit Dampf betriebene mechanische Computer gab. Zum Star seiner Zunft wurde Schaffer bereits mit 30 Jahren durch die Studie Leviathan and the Air-Pump (1985, gemeinsam mit Steven Shapin) über die "Erfindung" der Erkennntnisproduktion im England des 17. Jahrhunderts. Schaffer und Shapin erhielten für für dieses Werk 2005 den angesehenen und mit 150. 000 Euro dotierten Erasmuspreis.

STANDARD: Sie sind Professor an der Universität Cambridge, die in den Uni-Rankings regelmäßig unter die besten Unis der Welt oder zumindest zur besten Europas gewählt wird. Was halten Sie von solchen Ranglisten?

Schaffer: Ich bin grundsätzlich kein Fundamentalist – nur bei solchen Uni-Rankings bin ich es: Es bedarf keiner Ranglisten, da sie völlig sinnlos sind. Sie haben keinerlei Wert, weder für die Universitätsangehörigen selbst noch für die Studenten, für ihre Eltern oder sonst jemanden. Die Tatsache, dass ein paar Hochschulexperten aus Schanghai, die solche Ranglisten erstellen, die Universität Cambridge für die beste Europas halten, ist bedeutungslos. Solche Rankings reproduzieren nur ein verzerrtes Bild von den Unis, das sie eigentlich korrigieren wollen.

STANDARD: Normalerweise ist man an jenen Universitäten, die am besten abschneiden, mit dieser Form der Bewertung zufrieden.

Schaffer: Deshalb sollten gerade Wissenschafter solcher Unis umso lauter dagegen protestieren. Denn die haben ja noch eher eine Chance, wahrgenommen zu werden. Bei den anderen hieße es, dass die sich ja nur wegen der schlechten Platzierung aufregen. Es geht aber nicht um ungerechte Platzierungen, sondern um das falsche Prinzip der Rankings an sich.

STANDARD: Diese Ranglisten sind erst in den letzten paar Jahren groß in Mode geraten. Wie kam es dazu?

Schaffer: Das hängt ganz eng damit zusammen, dass es in vielen Teilen der Welt, und so auch in Großbritannien, vor rund zehn Jahren zu einer systematischen Professionalisierung der Uni-Administration gekommen ist. Eine Managerklasse hat Einzug gehalten und sorgt seit- dem für tiefgreifende Veränderungen, die ich für sehr schlecht halte, weil sie den Universitäten Autonomie wegnehmen. Eine davon ist, dass es – wie in allen anderen vom Management dominierten Systemen – universeller Messsysteme zur sogenannten Qualitätssicherung bedarf. Und das sind eben die unseligen Uni-Rankings.

STANDARD: War denn die alte Form der Administration durch Professoren so viel besser?

Schaffer: Ich kann hier nur für Cambridge sprechen. Da hatten der Kanzler und sein Stellvertreter seit dem 13. Jahrhundert eine auf 18 Monate beschränkte Amtszeit. Man musste Professor sein, damit aus dem Inneren der Uni kommen und wurde von den Kollegen gewählt. Das war zwar nicht wirklich demokratisch, garantierte aber eine hohe Autonomie der Universität. Seit zehn Jahren ist es so, dass der Vizekanzler von außen kommen kann und kein Professor sein muss. Diese Leute sind ein bisschen so wie Fußballtrainer oder Manager: Die anderen Universitäten und ihre Angehörigen sind für sie die Gegner, die eigenen Studenten sind die Kunden.

STANDARD: Ist das so völlig falsch gedacht?

Schaffer: Ja. Andere Forscher sind keine Konkurrenten, sondern Kollegen, und das wissenschaftliche Verhältnis zwischen zwei Universitäten wie Oxford und Cambridge ist nicht das zwischen Pepsi und Coca-Cola. Unsere Studenten sind auch keine Kunden, sondern ebenfalls Kollegen, die bei uns gewissermaßen in die Lehre gehen. Diese Werte müssen wir gegen die Managerklasse verteidigen und sie in deren Sprache übersetzen, damit sie das auch verstehen.

STANDARD: Sie sind Wissenschaftshistoriker und damit Vertreter der Geisteswissenschaften. Wie tun sich diese Fächer mit der verordneten Vermessung?

Schaffer: Dort funktioniert es schon gar nicht. Ein typisches Beispiel dafür waren die Diskussionen um den European Reference Index for the Humanities, mit dem die einschlägigen geisteswissenschaftlichen Fachzeitschriften aus Europa nach ihrer Bedeutung gewichtet werden sollen. Die European Science Foundation wollte damit ein Gegengewicht zu den nordamerikanische Fachjournalen herstellen. Diese dahinterliegende Idee der Stärkung europäischer Fachzeitschriften war an sich gut, aber die Durchführung ganz schlecht. Das ist heute ein sinnloses Schema ohne jeden intellektuellen Wert. Ich war bei den Diskussionen damals als Herausgeber des British Journal for the History of Science dabei, das in die Kategorie der wichtigsten Journals aufgenommen wurde. Das hat unserem Protest und der Weigerung, da mitzumachen, immerhin etwas mehr Bedeutung verliehen.

STANDARD: Wie sieht es generell mit der Lage der Geistes- und Sozialwissenschaften in Großbritannien aus?

Schaffer: Seit Herbst 2010 gibt es drastische Reformen bei der staatlichen Förderung von Lehre und Forschung zumindest an den englischen Universitäten – die schottischen sind nämlich ausgenommen. Eine der Maßnahmen ist die fast vollständige Streichung der öffentlichen Direktförderung für Lehre in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Diese Kosten sollen in erster Linie direkt durch die Studiengebühren gedeckt werden, die auf bis zu 9000 Pfund angehoben wurden.

STANDARD: Sind diese Fächer ökonomisch zu wenig nützlich?

Schaffer: Natürlich nicht! Es ist sehr einfach, den enormen ökonomischen Wert von Lehre und Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie jenen der künstlerischen Hochschulen zu demonstrieren. In Großbritannien und natürlich auch anderswo werden dadurch viele Milliarden Pfund generiert. Andererseits: Haben wir den Kampf nicht schon verloren, werden wir darauf hinweisen und damit bei dieser Ökonomisierung auch des Hochschulbereichs mitmachen? Wenn wir diesen Spielregeln der Vermarktwirtschaftlichung zustimmen, dann ist das womöglich ein Kompromiss zu viel. Gerade wir in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind ja besonders gut darin, solche Spielregeln zu analysieren – und nicht, dabei auch gleich mitzuspielen.

STANDARD: Welche Folgen könnte diese Ausdünnung der Sozial- und Geisteswissenschaften haben?

Schaffer: Autonome Formen sozial- und geisteswissenschaftlicher Expertise, wie sie eben vor allem an öffentlich geförderten Einrichtungen möglich ist, werden dadurch systematisch verhindert. Dadurch kann es zu ähnlichen Zuständen wie in der US-Tabakforschung kommen, wo Studien entweder von Philip Morris gesponsert werden oder gar nicht. In gewisser Weise stehen die USA bereits für die Apokalypse. Dort passiert heute die meiste sogenannte "sozialwissenschaftliche Forschung" – bitte unter Anführungszeichen! – in privaten Thinktanks, und das sind nun einmal in erster Linie Lobbyeinrichtungen. Und damit sind wir auch wieder zurück bei den erwähnten Uni-Reformen, die von den rechten und Mitte-rechts-Regierungen eingeführt wurden. Die kommen aus ebensolchen Thinktanks. Es ist ein echter Teufelskreis, den wir möglichst bald beenden sollten. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.01.2012)

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Wissen: Universität Cambridge

Sie ist eine der ältesten Universitäten der Welt und fraglos eine der erfolgreichsten – egal, wie man wissenschaftliche Qualität misst (und ob man das für machbar hält): 2010 und 2011 belegte Cambridge im QS World University Ranking Platz eins, 2011 im Times-Ranking Platz sechs und in jenem der Jiaotong-Uni Shanghai als beste Hochschule Europas Rang fünf.

Die im Jahr 1209 gegründete Universität, die rund 18.000 Studierende und 6000 Forscher hat und aus 31 weitgehend autonomen Colleges besteht, hat zudem mehr Nobelpreisträger als irgendeine andere Universität auf der Welt hervorgebracht. Wissenschafter der Universität Cambridge haben 88 Nobelpreise gewonnen, rund 70 davon waren selbst Studenten in Cambridge.

Das machte die Uni auch zur erfolgreichen Marke: Für die Unternehmensberater von World Brand Lab Cambridge war die Uni Cambridge 2009 die vierteinflussreichste Marke aller Universitäten (hinter Harvard, dem MIT und Stanford) und die fünfzigsteinflussreichste Marke insgesamt. (tasch)