Politisch überkorrekt; willfährige Befolger von Recht und Gesetz; immer alles ins Negative ziehend - so sind wir Deutschen. Und deshalb sehen wir dank einer winzigen Mailbox-Nachricht den Rubikon gleich zum zweiten Mal überschritten und unsere ach so heilige Pressefreiheit bedroht. Was für a Schmarrn! Stattdessen sollten wir uns ein Beispiel an unseren österreichischen Nachbarn nehmen - die haben das unnötige Ding nämlich mir nichts, dir nichts abgeschafft. Das geht. Zumindest in Wien. Und noch viel mehr ... Bewerben Sie sich (bitte nicht)!

Da hätten wir beispielsweise ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Der hat sich auf die Suche nach einem neuen Büroleiter gemacht und mehr als dreitausend Bewerbungen für die mit jährlich knapp 80.000 Euro vergütete Stelle bekommen. All dies, nachdem er den Job bereits mit Niko Pelinka, dem 25-jährigen Nachwuchsstar der SPÖ, besetzt hatte (vermeintlich, denn Niko Pelinka hat seine Bewerbung Donnerstagvormittag zurückgezogen, Anm.).

Wir deutschen Kleingeister mögen hier gleich doppelt die Nase rümpfen. Denn wir haben ja an allem etwas auszusetzen, und so würden wir uns mit Sicherheit darüber echauffieren, dass Pelinka im vergangenen Jahr als Mitglied des ORF-Stiftungsrats maßgeblich an Wrabetz' Wiederwahl beteiligt war und diese sogar aktiv organisiert hat. Nicht so der Wiener. Der sieht das Gesamtbild, und daher rechnet uns Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter vor, dass demnächst auch "die Grünen einen Fahrradbeauftragten" und die konservative ÖVP "einen Kontrolleur für die Wetterkameras zwischen Mariazell und dem Waldviertel" beim ORF stellen werden. Denn schließlich brauchte Wrabetz auch ihre Stimmen zur Verlängerung seines Mandats. Die SPÖ kriegt halt mehr, weil sie an der Regierung ist. Hat ja auch Sinn ...

Alle sind sich nah und "sympathisch" ...

Ich weiß bereits, was kommt. Sie wollen sofort wieder die moralische Keule aus dem Schrank holen und von Bestechlichkeit, Vorteilsnahme und -gewährung faseln. Allein schon das Wort "Bestechlichkeit" ist typisch deutsch, klingt es doch hart, unnachsichtig und anklagend. Da sind uns die Österreicher einen Schritt voraus, können sie doch auf den lieblichen, einen sanft umschmeichelnden Begriff "Naheverhältnis" zurückgreifen.

Kostproben der Naheverhältnisse

Und Naheverhältnisse gibt es im politisch-medialen Komplex in Felix Austria zur Genüge. Glauben Sie nicht? Hier eine Kostprobe aus einem Interview der österreichischen Tagesschau "Zeit im Bild" mit Kanzleramtsstaatssekretär Josef Ostermayer (ebenso wie Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ). Wie die "ZiB" aufmerksam macht, ist "eine Pressesprecherin des Kanzlers mit dem Innenpolitikchef der 'Kronen Zeitung' verheiratet, der Bundeskanzler seit seinen Jugendtagen mit dem Herausgeber der Tageszeitung 'Österreich' ... befreundet, und Ihre Pressesprecherin wiederum ist mit dem Geschäftsführer der Boulevardzeitung 'Heute' verheiratet, der wiederum ein ehemaliger Pressesprecher von Herrn Faymann ist" (siehe auch Info).

Solche Beziehungen mögen für uns Piefkes problematisch sein, für die Alpenrepublik im Allgemeinen und Ostermayer im Besonderen sind sie es nicht. Denn "wenn man in diesem Bereich tätig wird, kommt's halt manchmal vor, dass sich Menschen sympathisch finden". Und jetzt wissen wir auch, was uns wirklich von den Österreichern unterscheidet: menschliche Nähe und Sympathie.

Denn wenn ein Volk genügend von diesen Tugenden besitzt, braucht es gar keine Pressefreiheit. Und so werden wir uns zukünftig zwischen Arlberg- und Reschenpass fragen lassen müssen: Wulffst du noch oder pelinkast du schon? Bitte. Danke. (Mark T. Fliegauf, derStandard.at, 19.1.2012)