Die Ausstellungseinsicht zeigt keine Gesamtkunstwerke, sondern Fragmente mit der Sehnsucht nach der Utopie Gesamtkunstwerk.

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Gerwald Rockenschaub: "no red tape"

Foto: 21erHaus / Georg Kargl Fine Arts / Jens Preusse

 Ein Trümmerfeld.

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Wien - Er hat tatsächlich am Gesamtkunstwerk gebaut: Christoph Schlingensief hat in seinen installativen Konglomeraten nicht nur die Künste vereint und dabei oft die Sinne ge- und überfordert, sondern die Kunst - angetrieben vom Willen zur Veränderung der Gesellschaft - auch mit dem Leben verbunden. Und so schmerzt es ein bisschen, wenn sein Cello-TV (ein an Nam June Paik erinnerndes Objekt, über dessen Monitore Bilder von wuchernden, kranken Zellen flimmern) ganz solitär in der Ecke steht. Ganz so, als wäre es seinem, dem eigenen Krebs geschuldeten "Fluxus-Oratorium" Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (2008) gewaltvoll herausgeschnitten worden.

Aber die Ausstellung Utopie Gesamtkunstwerk im 21er-Haus will auch gar keine Gesamtkunstwerke zeigen, sagt Kuratorin Bettina Steinbrügge. Die gemeinsam mit Harald Krejci konzipierte Schau bilde vielmehr das Gegenteil dieser Utopie ab: die Fragmentierung unserer komplexen Welt - darin eine entfremdete Gesellschaft, in der die Sehnsucht nach einem Gesamtkunstwerk, einem universellen Ganzen, in dem man aufgehen kann, groß ist. (Die Schau folgt dabei Matthew Wilson Smiths Buch The Total Work of Art: From Bayreuth to Cyberspace.) Also quasi eine Kirche für Atheisten.

Das 21er-Haus ist freilich keine Fragmentierungshölle aus vereinsamten Kunstwerken geworden, denn für das heilspendende Kollektiv sorgt Esther Stockers Präsentationsdisplay: Große offene Kuben stapeln sich wie Bauklötze im Raum, sorgen für Zusammenhalt und Happy End im Sinne Richard Wagners, einem Vorreiter der romantischen, kollektiven, alles verschmelzenden Idee: "Im Kunstwerk werden wir eins sein."

Den Hang zum Gesamtkunstwerk diagnostizierte Harald Szeemann bereits 1983 im Kunsthaus Zürich (und etwas später ebenhier im 20er-Haus). Seine Schau reichte von Kurt Schwitters' die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst aufhebendem Merzbau bis zum Meltingpot alternativ-revolutionärer Lebensformen, dem Monte Verità im Tessin.

Daran knüpft man nun an. Aber wie gesagt: Utopie Gesamtkunstwerk zeigt keine Gesamtkunstwerke. Es gibt sie nicht - oder lediglich im ursprünglichen, die Kunstdisziplinen vereinenden Sinn. Selbst wenn die Konzepte, angefangen bei Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater über Jonathan Meese bis Friedrich Kiesler, dem ganzheitlichen Kunstkonzept huldigen, sind sie doch alle - folgt man der Argumentation der Schau - zum Scheitern verdammt: Denn "ein Gesamtkunstwerk zu schaffen ist so unmöglich wie die Quadratur des Kreises oder das Perpetuum mobile" (Wieland Schmied).

Die kuratorische Frage nach dem, was ein Gesamtkunstwerk heute noch sein kann, fällt also pessimistisch aus: Als Argument zieht man auch die Moderne heran, deren Ideal von der Erneuerung der Gesellschaft gescheitert ist. Vermag die Geschichte wirklich Ideale zu vernichten? Soll man sich den Glauben ans Gesamtkunstwerk wirklich wegtheoretisieren lassen? Es gibt doch einige gesamtkunstwerkliche Ideen, die die Beschmutzungen des Begriffs durch totalitäre kommunistische wie faschistische Spektakel recht unbeschadet überdauert haben: Beuys 7000 Eichen wurden gepflanzt. Und auch der von der Gruppe Wochenklausur 1993 etablierte Bus, der Obdachlose medizinisch betreut, fährt heute noch.   (Anne Katrin Feßler  / DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2012)