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Gerhard Rühm, 1997

Foto: Reuters / Godany

"Hauptsache: glücklich!": Angesichts der Schönheitskönigin zieht der Mann seinen Bauch ein. Postkarten-Collage von Gerhard Rühm an Ernst Jandl vom 7. September 1957.

Foto: ÖNB

Wien - Als Mitbegründer der Wiener Gruppe (mit Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener) ist Gerhard Rühm, 1930 in Wien geboren, schon jetzt legendär: In den 1950er-Jahren begann der Avantgardist Lautgedichte, Sprechtexte, visuelle Poesie, Fotomontagen und Buchobjekte zu produzieren. Aber noch immer ist Rühm, der als Dreifachbegabung (Autor, Komponist und Künstler) permanent Genregrenzen überschreitet, hochaktiv - und ein mitreißender Interpret etwa seiner Chansons.

Aber auch als Archivar in eigener Sache beeindruckt Rühm: Er sammelte alles, was mit seinem umfangreichen wie vielschichtigen Werk in Beziehung steht. Bereits 2002 trat das Literaturarchiv der Nationalbibliothek wegen des Vorlasses an ihn heran. Nun, nach neun Jahren, wurde man handelseins: Die ÖNB erwarb um 450.000 Euro, so Bernhard Fetz, der Leiter des Literaturarchivs, das gesamte Material (ausgenommen das rein bildnerische Werk): Die Partituren kommen in die Musiksammlung, der große Rest ins Literaturarchiv. Dazu gehört neben den Manuskripten eine beachtliche Sammlung zur Wiener Gruppe samt Gemeinschaftsarbeiten, weiters Requisiten der berühmten literarischen Kabaretts, Livemitschnitte, Korrespondenzen und Collagen. Laut Fetz, der die programmatische Intermedialität von Rühms Werk besonders würdigt, bildet der Vorlass die perfekte Ergänzung zu den vorhandenen Konvoluten zur Wiener Gruppe.

Mit ein Grund, warum Rühm mit dem Verkauf zuwartete, war die geplante Veröffentlichung des Gesamtwerks in 14 voluminösen Einzelbänden. Die ersten Bände (darunter Visuelle Poesie und Visuelle Musik, herausgegeben von Rühms Frau Monika Lichtenfeld) erschienen 2005/2006 bei Parthas in Berlin; danach geriet das ehrgeizige Unternehmen ins Stocken. Rühm wechselte zu Matthes & Seitz: 2010 kamen die Theaterstücke heraus, diesen Herbst folgt die Auditive Musik, und dann geht es im Halbjahrestakt weiter.

Trotz der Gesamtausgabe wird aber nicht der gesamte Rühm publiziert sein: Fetz weist auf die vielen Vorstudien und Quellen hin, die im Vorlass enthalten seien. Gerade sie dürften für die Forschung von besonderem Interesse sein.

Auch Johanna Rachinger, Generaldirektorin der ÖNB, ist stolz auf die Erwerbung. Er bedeute zwar einen "finanziellen Kraftakt", es sei ihr aber wichtig gewesen, Rühms Lebenswerk für eine österreichische Institution zu sichern. Im Gespräch mit dem Standard weist sie auf eine weitere Neuigkeit hin: Die ÖNB und die Bayerische Staatsbibliothek schlossen einen Kooperationsvertrag ab.  (Thomas Trenkler, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2012)