Die Aktualität der drei Affen aus dem alten Japan ist ungebrochen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Insbesondere Letzteres vor versammelter Mannschaft besser nicht. Und so blüht die Kultur der Informationen und Mitteilungen hinter vorgehaltener Hand. Allenthalben wird geraunt: "Aber bitte, das ist nur für Ihre Ohren bestimmt! Auf keinen Fall im Zusammenhang mit meinem Namen verwenden."

Diese Scheu, die Dinge am Arbeitsplatz offen anzusprechen, sie gibt zu denken - besser: sollte zu denken geben. Und das heißt nach Shakespeares Wort aus Hamlet: "Etwas ist faul im Staate Dänemark" - wie die Analyse eines Wissenschafters deutlich macht: "Bis Anfang der 90er-Jahre habe ich Unternehmer und Führungskräfte gekannt, die dem 'königlichen Kaufmann' nahegekommen sind, nicht viele, aber doch einige. Heute kenne ich kaum jemanden, der einen humanistisch geprägten Führungsstil pflegt - oder wenn er das tut, kommt er im Unternehmen nicht weiter. Mein Eindruck ist, dass die Bedeutung des Shareholder Value die heutige Entwicklung mit ihrer Gier, Kurzfristmentalität, Rücksichtslosigkeit, Führungsschwäche hervorgerufen hat. Die Karrierepfade belohnen Hemdsärmeligkeit, Egozentrik, Selbstdarstellung, alles in schöne Worte eingehüllt. Es ist zum Verzweifeln."

Offensichtlich verzweifelt nicht nur dieser Mann. "Würde dieser aus Druck und Existenzängsten geborenen seelischen Notsituation endlich mal ernsthaft Rechnung getragen, käme vermutlich erheblich mehr dabei heraus als bei all den lärmenden Exzellenzinitiativen, dem albernen Motivationsquatsch, der Teambildung im Hochseilgarten und der permanenten Umorganisiererei", sinniert ein gestandener Controller.

Ein ebenfalls im Geschäft ergrauter Personalberater kommt zu einem ähnlichen Schluss: "Eigentlich ist es geradezu atemberaubend irre, da wird ein enormes Geld für allen möglichen Empowermentschnickschnack ausgegeben, da wird über Work-Life-Balance gefaselt und Aaron Antonovskys Salutogenese-Konzept, und wenn Sie das alles bei Licht besehen, ist all das schöne Geld zum Fenster rausgeschmissen, die Krankschreibungen wegen psychischer Probleme klettern und klettern. Was lernen wir daraus? Wir haben in Sachen 'Unternehmensführung' die Orientierung verloren, wir haben uns gewaltig vergaloppiert, wir sind ganz gewaltig auf dem Holzweg!"

"Druck nicht gewachsen"

Übertreibt der Mann? Danach sieht es nicht aus, wie ein Blick in die Studie "Weiterbildungsszene Deutschland 2011" offenbart: "In keiner Bildungsdiskussion darf derweil der Hinweis fehlen, dass es schon heute - und erst recht in Zukunft - an allen Ecken und Enden an qualifizierten Fach- und Führungskräften mangelt. Die Ressource Mensch ist endlich und nicht unbegrenzt verfügbar. Wem diese Formulierung ein gewisses Unbehagen bereitet: Sie ist bewusst gewählt. Denn wie die Unternehmen mit dieser 'Ressource' umgehen sollen, wissen sie nicht so recht." Und: "Trainer, Berater und Coaches haben durch ihren Beruf sehr vielfältige Einblicke in die Befindlichkeit der Unternehmen. Und im Gegensatz zur gegenwärtigen ökonomischen Situation steht es um diese alles andere als gut. Weiterbildungsanbieter sehen sich immer weniger als Lernbegleiter und Förderer von Kompetenzen, hingegen immer öfter als Seelsorger oder gar Therapeuten gefordert." Und dann kommt Studien-Autor Jürgen Graf unverblümt zur Sache: "Bündelt man die vielfältigen Kommentare und Statements dieser Studie, dann hält vor allem 'Druck' die Betriebe am Laufen. Und weil sich in einer ständig um höhere Produktivität ringenden Wirtschaft immer mehr Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf immer weniger Schultern verteilen, sind gerade die hochqualifizierten Mitarbeiter dem Druck kaum mehr gewachsen."

Genau diese Beobachtung ließ die Unternehmensberatung Coverdale München aktiv werden. Sie befragte rund 100 Manager mit fünf- bis zehnjähriger Führungserfahrung in qualitativen Interviews zu Arbeitsumfeld, Führungsstil und Entwicklungspotenzial. Nüchternes Fazit: Die Betriebe werden aus sich heraus instabil, ihnen droht über den Umweg zunehmend überforderter Mitarbeiter der organisationale Burnout. Für Coverdale-Geschäftsführer Thomas Weegen "eine Entwicklung, die bei der offensichtlich zunehmenden Krisengeneigtheit des weltwirtschaftlichen Geschehens gezielt Aufmerksamkeit verdient." Seiner Ansicht nach "muss das Atmosphärische als Fundament innerbetrieblicher Stabilität dringend mehr in den Blickpunkt betrieblicher Krisenvorsorge gerückt werden".

"Wenigstens nicht schlechter"

Die auf den organisationalen Burnout zutreibende innerbetriebliche Befindlichkeit ist ein Opfer, das auf dem Altar der Effizienz erbracht wird. Eine Studie zur Führungskultur von Carsten Steinert, Professor an der Hochschule Osnabrück, ergab: Defizite in der persönlichen Führungsqualität werden stillschweigend geduldet, solange die vom grünen Tisch gesetzten Ziele erreicht werden. Das alte Bild: Der Zweck heiligt die Mittel. Zum Nachteil des menschlich-betrieblichen Wohlergehens. Hans H. Hinterhuber, bis 2006 Direktor des Instituts für Strategische Unternehmensführung der Universität Innsbruck, sieht in dem, was Steinert herausfand, "den gewichtigen Unterschied zwischen ICH und WIR in der Unternehmensführung". Hinterhuber: "Unternehmen sind dann erfolgreich, wenn sie nachhaltig ihre Kapitalkosten verdienen. Führungskräfte betrachten sich als erfolgreich, wenn sie rasch befördert werden und Karriere machen."

Die Konsequenz: Wichtig sei es, den organisationalen vom persönlichen Erfolg zu unterscheiden. Unternehmen täten deshalb gut daran, "ein System zu installieren, das organisationalen und nicht persönlichen Erfolg belohnt". Also sicherzustellen, dass "die Führungstätigkeiten, die das Unternehmen stärker machen, belohnt werden, nicht aber die Führungstätigkeiten, die der persönlichen Karriere dienen".

Zur Abrundung: In Psyche - Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendung (11/2011) schreibt der Soziologe Hartmut Rosa von der Friedrich-Schiller-Universität Jena: "Zum vielleicht ersten Mal in der Geschichte der Moderne arbeitet die Elterngeneration in der westlichen Welt heute nicht mehr für die Idee, dass es ihre Kinder einmal "besser haben sollen", sondern in der Hoffnung, dass es ihnen wenigstens nicht viel schlechter gehen wird. Wachstum und Beschleunigung dienen nicht mehr der Verbesserung, sondern der Aufrechterhaltung des Status quo. Das aber bedeutet: Der Druck steigt unaufhörlich (wir müssen jedes Jahr schneller laufen), aber er übersetzt sich nicht mehr in Vorwärtsbewegung: Spätmoderne Akteure werden nicht mehr von einem verlockenden Ziel angezogen, sondern sie müssen das Tempo steigern, damit keine Krise ausbricht, damit sie ihren Platz halten können und nicht in einen Abgrund fallen. Sie haben kein Ziel vor sich, sondern ein gefühltes Monster hinter sich. Das aber, so scheint mir, macht die Menschen krank." (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 28./29.1.2012)