"Führungskräfte müssen Widerspruch nicht nur ertragen können, sie müssen ihn auch fordern und fördern", ist die Meinung von Unternehmensberater Thomas Weegen, Geschäftsführer von Coverdale Deutschland, München. Und verstärkend setzt er hinzu: "Wenn sie wirklich gut sind!" Was im Umkehrschluss nicht mehr und nicht weniger heißt als: Wer nur Hofschranzen um sich schart, die nach dem Motto "Was Gott tut, das ist wohlgetan!" ergeben und beflissen zu allem Tun und Lassen des Chefs Ja und Amen sagen, ist fehl am Vorgesetztenplatz.

Eine Sichtweise, die auch der deutsche Top-Manager Karl-Joseph (Kajo) Neukirchen vor Jahren etwas unmittelbarer in die pointierte Bemerkung kleidete: "Harmonie schadet dem Betrieb!" Streit, so Neukirchen, sei nötig, um die beste Lösung zu finden. Gerhard Schwarz, renommierter Wiener Konfliktfachmann, kommt zu dem Schluss: "Fasst man den positiven Sinn von Konflikten zusammen, dann könnte man sagen: Der Widerspruch in jedem System (Familie, Betrieb, Gesellschaft) garantiert dessen Weiterentwicklung!"

Also, die Scheu vor Auseinandersetzungen um Meinungsverschiedenheiten ist Entwicklungsscheu. Und nichts ist in unserer Zeit für Betriebe unbekömmlicher, als geistig auf der Stelle zu treten. Doch soll das dynamisierende, innovative Potenzial von Meinungsverschiedenheiten in den Dienst der Sache gestellt werden, setzt das Wissen und Können voraus, verlangt das eine Konflikt- beziehungsweise eine Streitkultur. Meinungsverschiedenheiten lassen sich bekanntlich auf mancherlei Weise ausagieren. Im Zuge der "Diskussion" schließlich Andersdenkende anzubrüllen ist eine gar nicht mal so unbeliebte Variante. Auch die Beendigung eines solchen "Gedankenaustauschs" mit einem schneidigen, autoritären "Basta!" hat, nicht nur in der Politik, ihre Befürworter und Anhänger.

Nicht Autorität ausspielen

Die Lungen auf diese Weise zu lüften und eine ausufernde Debatte etwas abrupt zu beenden, manchmal muss das sein. Auch im Sinne der Sache. Manchmal. Im Allgemeinen aber ist es wenig zielführend, auftretende Spannungen mit der Kraft und Macht des Stärkeren auszuagieren. Schließlich hinterlässt ein "machtpolitisch" geführter und ebenso beendeter "Meinungsaustausch" nicht nur unausgeräumte Meinungsverschiedenheiten, sondern auch frustrierte "Unterlegene". Wenig wahrscheinlich, dass das die Mitarbeiter zu künftigem engagierten Mitdenken anregt. Ganz im Gegenteil, das in jedem Belegschaftsmitglied latent vorhandene, also nicht genutzte Potenzial an Wissen, Können und Wollen wird mit Auseinandersetzungsscheu und autoritärem Mundtotmachen nicht gerade wachgeküsst.

Der doch recht verbreitete Anpassungsdruck des Managements auf Denken und Verhalten der Geführten macht bei Licht besehen also wenig Sinn. Und die stets und immer irgendwie und -wo anstehenden Richtungsentscheidungen eher größer als kleiner. Immerhin soll ein Gesetz der Kybernetik besagen, ein System braucht innere Vielfalt, wenn es äußeren Wandel bewältigen soll.

Je unkomplizierter ein Betrieb Meinungsverschiedenheiten behandelt, desto eher gelingt ihm diese notwendige Mobilisierung. Je weniger dogmatisch gedacht wird: gut/schlecht, richtig/falsch, zutreffend/unzutreffend, zielführend/abstrus, das passt / passt nicht zu uns, kurz: entweder/oder, schwarz/weiß, desto reicher wird diese Mobilisierung ausfallen. Je selbstverständlicher in einem Betrieb aus dem Wissen heraus miteinander umgegangen wird, dass der Widerspruch im System und die offene Auseinandersetzung mit der anderen Meinung die wesentliche Voraussetzung für dessen Zukunftsfähigkeit ist, desto weniger bang muss ihm um das Morgen sein.

Unkomplizierter Umgang mit Meinungsverschiedenheiten gelingt umso besser, konzentrieren sich alle Beteiligten darauf, einer Problemlösung in der Sache nachzuspüren, und verzichten sie darauf, hinter der anderen Meinung Besserwisser, Nörgler, Selbstdarsteller, Querulanten zu sehen. Kurz, aufeinander herumzuhacken und sich emotional ineinander zu verbeißen. Gefragt sind mithin Denk- und Verhaltenswegweiser, mit deren Hilfe es gelingt, nicht vom Pfad diskursiver Tugend abzukommen. Forschern der amerikanischen Harvard-Universität verdanken wir einige hilfreiche Anregungen.

  • Die Meinungsverschiedenheit akzeptieren: Weichen die Ansichten voneinander ab, ist es wichtig, sich der konflikthaften Situation zu stellen, sie zu akzeptieren und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Grundfalsch ist es, den Konflikt zu unterdrücken oder ihn durch eine vorschnelle, vordergründige Lösung von sich wegzuschieben. So wird lediglich Zündstoff für spätere, meist noch unerfreulichere Konfrontationen angehäuft.
  • Das Problem genau herausarbeiten: Charakteristisch für konflikthafte Situationen ist es, dass einer am anderen vorbeiredet. Die Lösung eines Meinungskonflikts wird deshalb umso wahrscheinlicher, wird das den Konflikt auslösende Problem sorgfältig freigelegt.
  • Gegenseitige Standpunkte klären: Steht der Konflikt im Raum, sollten die Beteiligten klar sagen, wie sich die Dinge für sie darstellen, warum sie sie so sehen und weshalb sie eine bestimmte Lösungsalternative bevorzugen. Diese Klarheit eröffnet Perspektiven.
  • Beim eigentlichen Konfliktstoff bleiben: Eine Meinungsverschiedenheit wird nie gelöst, wenn die Beteiligten vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Es gibt Haupt- und Nebenpunkte bei Konflikten. Und so muss auch die Lösungsstrategie sein: erst das eine, dann das andere.
  • Sich Zeit nehmen: Meinungsverschiedenheiten ufern zu Dauerstreitereien aus, weil die Beteiligten keine entspannenden Denkpausen einlegen. Es ist allemal ratsamer, sich am nächsten Tag ausgeruht wieder mit dem Konflikt zu befassen, als sich nächtelang um einen lausigen Kompromiss zu streiten.
  • Auch Fragen können blockieren: Bei Meinungsverschiedenheiten sollten Fragen gut überlegt werden. Wichtig ist es, zwischen Verständnisfragen (Warum sehen Sie das so?) sowie Fragen, die dem Bemühen entspringen, sich in die Denk- und Verhaltensweise des anderen einzuklinken (Was lässt Sie zögern?), und Fragen, die eine andere Meinung oder unterschwellige Kritik transportieren (Haben Sie das wirklich klar durchdacht?) zu unterscheiden. Unterschwellige Sticheleien und Abwertungen anderer sind nie zielführend.
  • Das Innenleben nicht unterdrücken: Was emotional stört, kommt in der angespannten Situation der Meinungsverschiedenheit nicht zur Sprache. Lange, zeitraubende Scheingefechte sind meist darauf zurückzuführen. Sich in den Ansichten näherzukommen gelingt schneller, sprechen die Beteiligten klar, aber ohne jeden Vorwurf aus, was sie ärgert und ihre Konsensbereitschaft hemmt.
  • Bedenken ernst nehmen: Viele Meinungsverschiedenheiten beruhen auf unausgesprochenen Bedenken. Tritt ein Konfliktfall auf der Stelle, kann die Frage nach möglicherweise noch nicht zur Sprache gekommenen Bedenken die Konfliktlösung erheblich beschleunigen.
  • Innere Konflikte - äußerer Konflikte: Eine Meinungsverschiedenheit ist gar nicht so selten Ausdruck für einen eigenen inneren Konflikt. Oft kommt es "draußen" nicht zur Einigung, weil "drinnen" unterschiedliche Ab- und Ansichten bestehen. Klarheit über das wirkliche eigene Wollen ist deshalb eine verkannte Voraussetzung zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten.
  • Meinungsverschiedenheiten sind kein Wettkampf: Das Sieger-Verlierer-Denken gehört so zum Alltag, dass diese Denkweise nahezu automatisch in jedem Konfliktfall mitschwingt. Doch mit diesem Drehbuch im Kopf und dem sich daraus meist ergebenden Revanchedenken und -handeln gibt es keine konstruktiven Konfliktlösungen. (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 28./29.1.2012)