Motorradfahrer und andere mobile Einzelgänger: Der Grieche Babis Makridis sorgte mit seinem Film "L" für einen der Höhepunkte im Wettbewerb des Festivals von Rotterdam.

Foto: Filmfestival Rotterdam

Im Cine-Club ist eine vielstimmige Debatte im Gange. Ein junger Mann hält ein leidenschaftliches Plädoyer für ein Kino, das aufrührerisch ist, gegen alle Regeln agiert, aus Müll gemacht und dafür mit der Schönheit des Versehrten ausgestattet. Die Diskussion ist aus dem Off zu hören, zu sehen ist der junge Mann auf seinen Streifzügen durch Paris. Man schreibt das Jahr 1951, und das Ganze ist Teil des von Isidore Isous mit großer Geste und umso bescheideneren Mitteln auf die Leinwand gesetzten zweistündigen filmischen Manifests für ein Kino der Diskrepanz mit dem Titel Traite de bave et d'eternite / On Venom and Eternity.

Die Wiederaufführung dieses lange Zeit unzugänglichen Werks des streitbaren französischen Lettristen passt gut zum Filmfestival von Rotterdam, wo man derzeit bereits zum 41. Mal internationalen Kinoerneuerern aller Generationen eine ausladende Plattform bietet. Einem davon, dem 1934 geborenen Avantgardefilmemacher und -vermittler Peter Kubelka, hat sich die österreichische Filmemacherin Martina Kudláèek in ihrer jüngsten Arbeit, Fragments of Kubelka, angenähert. Wie schon in ihren früheren Dokumentarfilmen - etwa über die vergessene Avantgardistin Marie Menken - findet Kudláèek auch hier ganz eigene, an das jeweilige Werk und die Person angepasste Formen und Zugänge:

Im aktuellen Fall muss sie etwa die Vorgabe meistern, dass Kubelkas eigene Arbeiten ausschließlich in Form von Filmmaterial vorgeführt werden dürfen - Fragments of Kubelka hingegen, der in Rotterdam Weltpremiere feierte, ist vier Jahre lang digital gedreht worden. Adebar , Kubelkas schwarz-weißer Silhouettenfilm von 1957, erscheint also kurz als Spiegelung in der Scheibe des Projektionsraums, von Unsere Afrikareise erhält man eine Kubelka'sche Analyse am hauseigenen Schneidetisch, und Arnulf Rainer wird nicht nur in einem Ausstellungsraum Streifen für Streifen an die Wand genagelt, sondern taucht auch in Vorstudien auf millimeterbreiten Papierstreifen auf, die Kubelka im schwedischen Exil und mittellos per Schreibmaschine herstellte.

Nur Handkamera

Eine andere Bedingung legt der Porträtierte zu Beginn der 232 Minuten langen Passage ebenfalls fest: Kudláèek soll die Kamera aus der Hand führen, das sei ein mehr dem schweifenden Blick angepasstes Aufzeichnen. Auch darin entwickelt Kudláèek eine merkliche Freiheit und eröffnet Einblicke, die den Fokus der legendären Lectures von Kubelka erweitern.

Für neue Impulse im Erzählkino sorgen seit ein paar Jahren junge Querdenker aus Griechenland. Nicht unwesentlich ist daran der Drehbuchautor Efthimis Filippou beteiligt, der nach Dogtooth und Alpis für Regisseur Yorgos Lanthimos nun auch die Vorlage für Babis Makridis' Rotterdamer Wettbewerbsbeitrag verfasst hat: L ist der schlichte Titel dieses lakonischen Dramas.

Wie die beiden genannten Filme oder Athina Tsangaris' Attenberg nimmt auch L in seinen kurzen Episoden, die um seltsame Botendienste, rivalisierende Mobilisten und zwei- wie auch vierbeinige Honigliebhaber kreisen, keinen direkten Bezug auf die Krise. Trotzdem kann man sich als ferne Reaktion darauf eigentlich kein besseres Bild vorstellen als jenes eines Mannes, der sich mit seinem Auto im Kreisverkehr einreiht und dann, festgezurrt in seiner mobilen Kapsel, allmählich einem einsamen lauten Schrei freien Lauf lässt. (Isabella Reicher aus Rotterdam, DER STANDARD/Printausgabe 1.2.2012)