Sammler Karlheinz Essl vor Anselm Kiefers "Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang" aus dem Jahr 2011, nach einem Gedicht von Ingeborg Bachmann. 

Foto: Sammlung Essl, Peter Kuffner

Standard: Warum zeigen Sie nur Kiefer-Bilder aus Ihrer eigenen Sammlung?

Essl: Es wird wenige Sammlungen geben, die einen so wichtigen Kiefer-Block haben wie wir. Es sind 15 Arbeiten, die wir im Laufe von zehn Jahren gekauft haben, also aus einer sehr eingeschränkten Zeitspanne. Meine Frau hat Anselm Kiefer schon viel früher geschätzt, ich habe ihn relativ spät entdeckt. Für meinen Geschmack hat er mit seiner Arbeit zu sehr auf Mythologie und deutsche Geschichte Bezug genommen.

Standard: Was hat Ihren Meinungsumschwung bewirkt?

Essl: Ich habe mehrere Ausstellungen gesehen, irgendwann wollte ich den Künstler kennenlernen. Das erste Mal habe ich ihn gemeinsam mit meiner Frau auf seinem Anwesen in Barjac in Südfrankreich besucht und dann im Vorjahr in Paris, wohin er sein Atelier verlegt hat: eine riesige Fabrikwerkstatt von 32.000 Quadratmetern, mit Galvanisierung, Gießerei und Vorrichtungen für schwere Hebegeräte. Natürlich ist Mythologie immer noch sein Thema. Aber es kamen andere Aspekte dazu, etwa die Kabbala, die jüdische Philosophie. Oder die Himmelskunde. Diese Besuche waren Sternstunden in meinem Leben. Da hat es Klick gemacht, und ich habe mein erstes Bild gekauft.

Standard: Sie haben das Privileg, den als öffentlichkeitsscheu geltenden Künstler persönlich zu kennen. Welche Persönlichkeit ist er?

Essl: Anselm Kiefer ist sehr kritisch und zurückhaltend. Er spürt natürlich, wer es ernst meint, welche Absichten dahinter sind. Wenn es nur um Sensationshascherei geht, absentiert er sich. Aber er weiß, dass wir ein wichtiges Museum sind.

Standard: Spricht er gern über seine Arbeit?

Essl: Man kann ihn schwer einschätzen. Aber mit mir gab es kein Problem. Wir konnten gut über seine Arbeit reden.

Standard: Sie kuratieren die Ausstellung selbst: Ist das Ausdruck Ihrer engen Beziehung zu Kiefer?

Essl: Es hätte viele gegeben, die es gern kuratiert hätten. Aber ich wollte es so ausstellen, wie ich die Arbeiten gesehen habe. Unsere Sammlung ist ein sehr kompaktes Konzentrat. Das ist für mich als Kurator viel spannender, als wenn wir aus seinem gesamten Schaffen je ein Bild zeigen würden.

Standard: Als Kontrast zu Kiefer zeigen Sie im Frühjahr das sehr feinsinnige Werk des österreichischen Zeichners Rudi Schönwald.

Essl: Sie sprechen etwas Wichtiges an. Es geht mir nicht nur darum, Weltkünstler zu haben. Es gibt viele Künstler im Verborgenen, die aber eine wichtige Rolle gespielt haben. Rudi Schönwald war in den 1970er-Jahren eine wichtige Figur. Er hat im Stillen immer weiter gearbeitet. Und wo ist der Unterschied in der Qualität zwischen Schönwald und Kiefer? Es sind andere Dimensionen. Schönwald ist ein Meister der kleinen Form. Aber Qualität ist Qualität. Ich will nicht immer die Schwergewichte sehen, sondern auch einmal eine Delikatesse haben, etwas ganz Feines.

Standard: Was müssen Werk und/oder Künstler haben, damit Sie sich damit auseinandersetzen?

Essl: Ich beschäftige mich seit 40 Jahren intensiv mit Kunst und habe natürlich ein Netzwerk zu Museen, Sammlern, Künstlern, Galerien aufgebaut. Ich bin auf den wichtigsten Messen. Wir pflegen einen Katalogaustausch mit 450 Museen weltweit, dadurch bin ich sehr gut über den internationalen Markt informiert.

Standard: Das sind die Rahmenbedingungen. Aber was ist mit persönlicher Hingabe?

Essl: Einen kurzen Klick gibt es in der Regel nicht. Aber Momente, wo man sagt: Der Künstler interessiert mich. Da gehe ich in die Tiefe, will den Zyklus sehen, die Entwicklung, will wissen: Was sind seine Beweggründe, was ist seine Philosophie, was steckt hinter der vordergründigen Ästhetik des Bildes? Kurzum: Das Originäre interessiert mich. Mich interessieren die Fixsterne, nicht die Satelliten.

Standard: Teilt Ihr Publikum dieses Interesse?

Essl: Natürlich müssen wir Überzeugungsarbeit leisten. Aber wir können uns auch besser positionieren: Wir gehören zwar zum großen Wiener Kultureinzugsbereich, sind aber doch abgesetzt von der Wiener Museumslandschaft. Unsere Besucher kommen nicht kurz vor der Sperrstunde, um rasch durch die Ausstellung zu huschen. Sie sind mindestens doppelt so lang in unserem wie in einem Wiener Museum.

Standard: Merken Sie die Krise?

Essl: Sie geht nicht spurlos an uns vorüber. Wir haben unsere Ankaufsbudgets zurückgefahren und kaufen selektiver ein. Aber der Museumsbetrieb ist gesichert durch die Stiftung, die außerhalb der Erbfolge ist. Daher wird das Museum der Öffentlichkeit hoffentlich ewig erhalten bleiben.

Standard: Wie viel geben Sie jährlich für die Sammlung aus?

Essl: Dazu will ich nichts sagen. Nur so viel: Ein Kiefer ist eine große Investition. Die Familie steckt viel in die Sammlung, aber auch in den Museumsbetrieb. Es ist ja alles privat finanziert. Wir haben ein paar Sponsoren, doch den größten Teil übernimmt die Familie. Wir glauben, dass wir eine Verantwortung für die Gesellschaft haben. Kunst ist ein so wichtiger Teil unserer menschlichen Existenz.

Standard: Sie haben dieses Engagement oft auch spirituell erklärt.

Essl: Ja, es entspricht unserer protestantischen Geisteshaltung. Ein Kulturerbe verwalten zu dürfen ist ein Privileg, dafür braucht man große Demut. Für mich sind Spiritualität - im Konkreten der Glaube an Gott - und die Kunst zwei wichtige Eckpfeiler meiner Lebensauffassung. Irgendwer hat gesagt, der Künstler sei der verlängerte Arm Gottes. Aber man muss achtgeben und die Kunst nicht zu sehr ins Spirituelle transferieren. Das sind schon zwei verschiedene Sachen - obwohl man sagen muss, dass gute Kunst immer etwas mit Spiritualität zu tun hat. (Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe 1.2.2012)