Wien - Ein Streit rund um die Gewährleistung von Psychotherapie in Wien auf Teil-Kassenkosten bahnt sich an. "Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) sperrt dem größten Versorgungsverband alle Neuanträge für kassenfinanzierte Einzel-Psychotherapie. Überfallsartig werden die Anträge von der WGKK nicht mehr angenommen. Voraussichtlich bis zum Frühjahr 2013", hieß es am Mittwoch in einer Aussendung der Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VÖPP). Betroffen ist die Wiener Gesellschaft für psychotherapeutische Versorgung (WGPV).

Das Präsidium der VÖPP protestiere energisch gegen den Druck und die "Sparmaßnahme" der WGKK zulasten der Patienten. VÖPP-Präsidentin Jutta Fiegl betonte: "Jahrelang arbeiten und kämpfen wir für Kassenpsychotherapie und plötzlich kommt aus Budgetgründen ein Stopp - eine Katastrophe für sozial bedürftige Patienten. Als ob über Nacht Herzoperationen eingestellt würden." Etwa 225.000 Menschen in Wien und 900.000 Menschen österreichweit seien von einer "krankheitswertigen Störung" betroffen, die man mit einer Psychotherapie behandeln könnte.

Wartezeiten bis zu einem Jahr

Gestoppt worden sei die Aufnahme neuer Patienten in die Einzelbehandlung bei Therapeuten, welche über die WGPV mit der Wiener Gebietskrankenkasse abrechnen. Das ist der größte Abrechnungsverein für solche Leistungen in der Bundeshauptstadt. 550 Therapeuten sind darin eingebunden. Andere Vereine oder Institutionen wie die Psychosozialen Dienste (PSD) sind laut VÖPP-Vizepräsident Heiner Bartuska nicht betroffen. Insgesamt würden, sagt Bartuska, pro Jahr in Wien 30.000 Menschen Psychotherapie auf Krankenschein in Anspruch nehmen. Weitere 35.000 erhalten einen Zuschuss. Mit der Streichung des Förderung für den PSD fallen mit einem Schlag 17.000 Psychotherapiestunden weg - konkret sind das laut Bartuska 627 Therapieplätze. "Mit einem Schlag werden die Wartezeiten für Therapieplätze ansteigen", so Bartuska. Im Gespräch mit derStandard.at rechnet er damit, dass Patienten künftig etwa ein Jahr lang warten müssten, bis sie einen Platz bekommen.

WGKK wehrt sich: WGPV muss "Rucksack" abbauen

Die Verrechnung von Psychotherapie bei Einzeltherapeuten läuft in Wien häufig über einen Verein, der einen Vertrag mit der Krankenkasse hat. Es wird ein Pauschalbetrag für eine gewisse Stundenleistung vereinbart. Da aber die Gebietskrankenkasse ihre Zahlungen nicht erhöhen könne, bleibe nur der Stopp für neue Behandlungen übrig, um den notwendigen Stundenausgleich möglichst rasch zu erreichen, heißt es in einem Schreiben der WGKK und des Verrechnungsvereins an die Therapeuten.

Am Mittwochnachmittag hat die WGKK die Kritik der Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VÖPP) zurückgewiesen. Der WGPV haben das vereinbarte Stundenkontingent in den vergangenen Jahren kontinuierlich überzogen, wehrte sich die WGKK in einer Aussendung: "Um diesen Rucksack abzubauen, wurde nun vereinbart, das jährliche Volumen entsprechend anzupassen."

Laufende Behandlungen nicht betroffen

Man könne also ab sofort keine Neuanträge für WGKK-Versicherte mehr einreichen. Bereits laufende Behandlungen und Anträge auf Kostenzuschuss seien von dem Stopp nicht betroffen.

Rund um die Psychotherapie auf Kassenkosten gibt es seit 20 Jahren regelmäßig heftige Diskussionen in Österreich. Nach dem Scheitern des ehemals geplanten Abschlusses eines Gesamtvertrages zwischen Sozialversicherung und Psychotherapeuten im Jahr 2000 beschlossenen die Krankenversicherungen, jeweils auf Länderebene und zumeist im Rahmen von Vereinbarungen mit Versorgungsvereinen, eine psychotherapeutische Versorgung aufzubauen.

Von rund 7.000 Psychotherapeuten in Österreich arbeiten etwa 2.000 (auch) im Rahmen solcher Modelle. Es werden pro Jahr derzeit etwa 500.000 Therapiestunden bereitgestellt. Das betrifft rund 35.000 Patienten, die auf Sachleistungsbasis versorgt werden. Etwa dieselbe Zahl von Patientinnen erhält Kostenzuschüsse (21,80 Euro pro Therapiestunde). Über Ärzte mit dem PSY-Diplom der Österreichischen Ärztekammer werden schließlich noch einmal rund 65.000 Betroffene betreut. (APA/red)