Wien - Er war einer von uns. Sein Traum Capri bei Nacht galt einem Auto, die Feinrippunterhosen saßen der beachtlichen Hühnerbrust so nahe, wie sie im Schritt zwickten, er kam Durch die Pubertät zum Erfolg, und als Mitglied des 20. Jahrhunderts galten auch Teile seiner Hoffnung der Psychoanalyse: Die haferflockenbeschichtete Orgonkiste, die er 1982 mit Freund Albert Oehlen bastelte, sollte der Heilung wenig gelungener Bilder dienen, auf dass die dann ihrerseits die positiven Erdstrahlen auf die Betrachter abschießen würden, während der so genannte Künstler dem Kommando Martin, ab in die Ecke und schäm dich ohne Widerrede folgte.
Martin Kippenberger ist tot, starb '97 in Wien. Kurz davor notierte Michel Würthle - Gastronom im Berliner Dauerexil - unter Mi hermano Kippenberger nachfolgend Berührendes: "You can have / his last peso / but you can't have sein / Melancholiemodul".
"Jeder Künstler ist ein Mensch", soll Kippenberger oft gemurmelt haben, und dann: "Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden!" Was er dann auch nicht einmal versucht hat, weil ihm doch Pathos ganz fremd war. Notwendiger Bestandteil der Kunst müsse, ganz gegenteilig, "wahre Peinlichkeit" sein.
Auch deshalb hat Kippenberger sich immer wieder selbst porträtiert, also erfunden, in die befremdliche Umgebung gesetzt, keinen Stil verfolgt, sich, wo immer es gegangen ist, hineinreklamiert.
Und was kommt jetzt nach Kippenberger? Kippenberger! Deutschland lässt sich demnächst durch seinen Nachlass auf der Biennale von Venedig vertreten, das Museum für neue Kunst am ZKM Karlsruhe hat eben eine Retrospektive auf den späten Bürgerschreck beendet, das Van Abbe Museum Eindhoven und das Museum Moderner Kunst Wien kooperieren gerade mit einer weiteren Rückschau: Nach Kippenberger heißt die, und müht sich, Person und Werk, Leinwand und Anekdote fein säuberlich voneinander zu scheiden. Was Kippenberger ebenso wenig schadet wie der Karlsruher Erinnerungsversuch an einen Freund.
Er selbst hat 20 Jahre nach einem Künstlertod den Zeitpunkt angesetzt, dessen Wirken zu beurteilen. Markt und gängige Methoden wollten es anders, wollen jetzt schon die Ertrag versprechende Ruhmeshalle über einen errichten, den Festlegungen bloß beschneiden, der überall und nirgendwo beteiligt war, der kaum etwas so scheute wie die Nische.
Wenn von Martin Heidegger ein Vortrag mit dem Titel Bauen Wohnen Denken überliefert ist, dann von Kippenberger der Darmstädter Ausstellungstitel Miete Strom Gas. Wenn alle Welt hysterisch der Wahrheit im Internet nachgoogelt, dann ist Martin Kippenberger mit seinem Metro-Net Vertreter einer ganz physischen Allseitspräsenz. (Ein Metro-Eingang befindet sich auf der Griechischen Insel Syros, Modelle für Leipzig, Dawson City oder New York liegen vor, etwa notwendige Lüftungsschächte sind transportabel angelegt.)