Die Londoner Times publizierte dieser Tage Auszüge aus einem Nato-Geheimbericht, der ein äußerst kritisches Bild der Lage in Afghanistan zeichnet. Darin heißt es über die Taliban: "Kapitulation gehört nicht zu ihrem kollektiven Wortschatz"; außerdem wären sie fest davon überzeugt, das Land im Jahr 2015 wieder unter ihrer Kontrolle zu haben. Vielleicht, möchte man nach den jüngsten Ankündigungen in Washington und Brüssel meinen, gelingt das den Rabiatislamisten schon etwas früher.

Denn nach mehr als zehn Jahren erbitterter Kämpfe am Hindukusch scheint der Westen genug zu haben. Die Kampftruppen werden vom "Friedhof der Imperien" abgezogen. Erreicht haben sie mit einem enormen Einsatz an Menschenleben und Ressourcen immerhin, dass islamistische Terroristen das Land nicht mehr völlig unbehelligt als Operationsbasis nützen können. Von den hehren Idealen, von Frieden, Freiheit und Demokratie aber ist selbst im relativ sicheren Kabul schon lange keine Rede mehr.

Ganz pragmatisch wird stattdessen mit den Taliban über eine künftige Machtaufteilung verhandelt. Zuletzt ganz offen in Katar, aber bereits vor etwa einem Jahr flog eine geheimgehaltene Runde aus afghanischer Regierung, Taliban und USA in einem anderen Golfemirat auf. Das militärische Patt und die zunehmende Ressourcenknappheit lassen den Westen in diesem Kampf auf ein Unentschieden spielen, das die Taliban wie einen Sieg feiern werden. (DER STANDARD-Printausgabe, 03.02.2012)