Foto: Anna Jermolaewa
Foto: Anna Jermolaewa
Foto: Anna Jermolaewa
Foto: Anna Jermolaewa
Foto: Anna Jermolaewa
Foto: Anna Jermolaewa

Denjenigen, die dieser Tage am späten Nachmittag das Foyer der Wiener Arbeiterkammer betreten, bietet sich ein seltsames Bild. Da hängen großformatige Fotografien an den Wänden, fein säuberlich gerahmt. Die Bilder zeigen Frauen, die putzen. Putzfrauen. Frauen im grünen Kittel, mit gelben Gummihandschuhen, mit einem Wischmopp in der Hand. Vor diese Bilder schiebt sich langsam eine Frau mit Putzwagen ins Bild. Auch sie trägt einen Kittel, wischt mit einem Mopp den Boden und kehrt den Staub und Dreck unter den langen weinroten Ledersitzbänken hervor. Holt hier die Kunst den Alltag ein, oder der Alltag die Kunst?

Handschuhe aus Gummi, Putzkittel und Wischmopp heißt die Foto- und Videoinstallation der Künstlerin Anna Jermolaewa, die seit Ende November in der Wiener Arbeiterkammer ausgestellt ist. Jermolaewa fotografierte "Putzfrauen", so die politisch unkorrekte, aber meist gebrauchte Bezeichnung und interviewte sie anschließend in deren Freizeit in ihren Wohnungen. "Die Leute haben viel und offen erzählt", sagt Jermolaewa. Aber sie hatte auch einen Bonus, wie sie das selbst ausdrückt. Sogar zweifach. Jermolaewa ist Migrantin. Und: Sie war Putzfrau. Jermolaewa hat Mitarbeiter jener Firma um Interviews gebeten, in der sie selbst einst als Reinigungskraft gearbeitet hat, kurz nach ihrer Flucht aus Russland nach Österreich. Das war 1990, damals war die heute 41-jährige Künstlerin 20 Jahre alt.

Für Anna Jermolaewa war das Putzen nur Zwischenstation. "Es war okay", sagt sie heute, "abgesehen vom Frühaufstehen", und lacht. Ihre Farbfotografien zeigen Migranten bei ihrer Arbeit, beim Putzen im Museumsquartier. "Und hier", Jermolaewa zeigt auf den nächsten TV-Monitor, "ist ihr Zuhause." Drei Frauen und einen Mann hat sie in den eigenen vier Wänden interviewt und es geschafft, sie per Videokamera aus der Anonymität ihrer Jobs zu katapultieren. Stereotype werden Privatpersonen: "Slobodanka zum Beispiel", Jermolaewa spricht mit typisch russischem Akzent, "kam mit 17 nach Österreich." Wer sich die schwarzen Kopfhörer aufsetzt, kann Slobodanka nicht nur sehen, wie sie im schwarzem Shirt und mit dunklen langen Haaren zurückgelehnt auf ihrem Sofa sitzt, sondern auch reden hören: "Ein Mann, eine Firma, eine Wohnung", sagt sie und zeigt dann die Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, "seit 35 Jahren!" Sie ist 53, hat drei Söhne und war bereits mit 34 Oma. Darauf ist sie stolz.

"Ich genier mich nix"

Kaffeetasse und Zigaretten auf dem Wohnzimmertisch. Im Hintergrund sitzt die Schwiegermama, von der sie jetzt auch den Hausbesorgerjob übernommen hat. Sie weiß, dass ihr Job eine schwere, schmutzige Arbeit ist, aber ohne Ausländer, sagt sie selbstbewusst, "täten die Leute im Dreck ersticken". "Ich genier mich nix", sagt sie und wirkt tatsächlich recht entspannt auf ihrem Sofa im 15. Bezirk. Slobodanka hat auch einiges, wovon die meisten ihrer Branchenkolleginnen nur träumen können: einen legalen Aufenthaltsstatus und eine Anstellung. Denn trotz fehlender Studien zum Thema ist eines klar: Rund 95 Prozent aller Putzfrauen arbeiten schwarz.

"Es ging sehr schnell", schreibt Sibylle Hamann im Prolog zu ihrem Ende Februar erscheinenden neuen Buch Saubere Dienste. Ein Report: "Alles, was man für den Eintritt in die Unterwelt der illegalen häuslichen Dienstleistungen braucht, sind ein Vorname und eine Handynummer". "Putzen, Bügeln, Babysitten. Franziska, 7 Euro, bitte nur seriöse Anrufe", stand in der Annonce, mit der Hamann ihren Selbstversuch startete und unter falscher Identität putzen ging, um die Mechanismen und Machenschaften einer Branche zu durchleuchten. "Niemand lassen wir so umstandslos in unsere tabuisierte Privatsphäre eindringen wie unsere Putzfrau", schreibt sie: "Aber wer sind diese Dienstleisterinnen, denen wir unsere Schlüssel anvertrauen?"

Gesamtgesellschaftliches Nichtwissen

Die Wiener Autorin zeigt in einem Rundumschlag präzise auf, dass es sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Nichtwissen handelt. Oder soll man es Desinteresse nennen? "Woher kommt die Frau, die über meine intimsten Geheimnisse Bescheid weiß? Was ist sie sonst noch außer Putzfrau? Hat sie Kinder? Wen hat sie in der Heimat zurückgelassen? Wie genau und mit wem lebt sie hier, was hat sie eigentlich gelernt? Was sind ihre Pläne fürs Leben?", fragt Hamann stellvertretend für eine ganze Gesellschaft und weiß gleichzeitig, dass das Fragen sind, die sich nicht viele Arbeitgeber stellen.

Ihre vier (schon in der Titelwahl) bestens durchdachten Buchkapitel ("Die hier sind", "Die hierherkommen", "Die daheimgeblieben sind", "Wohin zurück und weitergeben") geben eine Menge Einblicke. Das Kapitel über jene, "die hierherkommen" setzt sich vielschichtig mit der Lebensrealität von Putzfrauen hierzulande auseinander. Und die Unterkapitel sprechen für sich. Sie heißen etwa: "Legal, illegal, egal: Leben im Untergrund hat Folgen, nicht nur für die Gesundheit", "Aufbruch in die Fremde: Wovor läuft man davon? Was sucht man? Und wie ehrlich darf eine Frau das sagen?" oder auch "Die weltumspannende Migrantennation und ihre weibliche Hälfte".

Weltumspannendes Putzen

In den Sauberen Diensten lernt man, dass der Frauenanteil der Migranten, die nach Europa kommen, in jüngster Zeit von 48 auf 52 Prozent gestiegen ist und, dass die Wirtschaftskrise diesen Trend zugunsten der migrierenden Frauen noch einmal verschieben wird. Denn: Geputzt wird immer, schreibt Hamann und zeichnet die Reiserouten der Putzfrauen, Haushälterinnen, Nannys und Pflegerinnen nach, die mittlerweile weltumspannend sind.

"Mich hat diese Spirale interessiert", sagt auch die Künstlerin Jermolaewa mit Blick auf die Protagonistinnen ihrer Arbeit. Eine Spirale, die sich mit dem Lohnniveau der jeweiligen Länder nach unten dreht. In der Praxis heißt das: Nach Österreich kommen die Polinnen und Serbinnen zum Putzen, in Polen wiederum sind Russinnen und Ukrainerinnen für selbiges zuständig, nach Serbien kommen Rumäninnen und Albanerinnen. In Russland putzen Frauen aus den ehemaligen Republiken Zentralasiens.

Mica etwa kam vor 24 Jahren aus Jugoslawien nach Österreich, und auch sie dreht seit November ihre 20-Minuten-Schleifen auf einem der Monitore im AK-Foyer. Auch sie weiß um die Putzfrauenspirale. Manchmal fehlen ihr die richtigen Worte auf Deutsch, dann kommt ihr Sohn Alexander zu Hilfe, erklärt, was sie meint und bringt ihre Gedanken in korrektem Deutsch zu Ende. An ihm erweist sich, warum viele Frauen die harte, unsichere Arbeit auf sich nehmen, perfekt: Damit es die nächste Generation einmal besser hat. Alexander trägt Brille, ein rotes T-Shirt von Lacoste und studiert Jus in Wien. "Ich bin ein Proletarierkind", sagt er, "aber ich steh dazu. Ich will trotzdem einen akademischen Abschluss." Und dann, fast verlegen: "Einmal mehr haben." Mica hat jahrelang bis zu 300 Stunden pro Monat gearbeitet, damit Alexander einmal mehr hat. Im Gegensatz zu ihrem Sohn sagt sie immer noch: "Bevor ich sagen, ich bin Putzfrau, ich bin Küchenhilfe."

Der Tag der Putzfrau

Die Ignoranz der Gesellschaft in Bezug auf die Lebensrealitäten so vieler Frauen, steht im Gegensatz zum ganz offensichtlich zunehmenden Interesse am Phänomen Putzfrau. Da sind Sibylle Hamanns analytischer Selbstversuch in Buchform und Anna Jermolaewas Kunstprojekt in der Wiener Arbeiterkammer nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit. Seit dem Jahr 2004 erinnert daran auch jährlich am 8. November der Internationale Tag der Putzfrau und schafft Gelegenheit, den Blick auf eine Berufsgruppe zu lenken, die selten im Rampenlicht steht. Er geht auf die Initiative der deutschen Krimiautorin Gesine Schulz zurück, deren putzende Romanheldin Karo Rutkowsky am 8. November Geburtstag hat.

Weniger fiktiv waren da die Bekenntnisse der polnischen Putzfrau Justyna Polanska, die Anfang 2011 einer ganzen Nation mit ihrer Abrechnung Unter deutschen Betten - eine Putzfrau packt aus einen Spiegel vorhielt. Das Buch wurde dennoch zum Bestseller. Was Polanska (die 31-jährige in Hessen lebende Polin heißt im richtigen Leben anders) in Deutschland gemacht hat, ist eigentlich die Ausnahme. Viel häufiger schlüpfen Journalistinnen für gewisse Zeit in die Rolle von Putzfrauen, um so Teil dieser anonymen Masse zu werden, die an den Rändern der Gesellschaft ums Überleben kämpft.

Insofern ist das, was Sibylle Hamann jetzt in Österreich gemacht hat, auch nicht mehr ganz neu, dafür umso verdienstvoller. Die französische Journalistin Florence Aubenas war (ähnlich wie Hamann) lange in Kriegs- und Krisengebieten wie Ruanda, Kosovo, Afghanistan und Irak unterwegs, 2005 war sie 157 Tage in irakischer Geiselhaft, bevor sie wieder nach Paris zurückkehrte.

...von ganz unten

Im Februar 2010 wurde ihr Erfahrungsbericht als Putzfrau in Frankreich in Buchform veröffentlicht. Auch dieses Buch hat sich schnell zu einem Bestseller entwickelt und ist unter dem Titel Putze. Mein Leben im Dreck 2011 in deutscher Übersetzung erschienen. Vor Aubenas war es wiederum Barbara Ehrenreich, die sich in den USA als investigative Journalistin verdient gemacht hat. Unter dem Originaltitel Nickel and Dimed: On (Not) getting by in America, erschienen 2001, beschrieb die damals knapp 60-Jährige die Working Poor aus deren Perspektive - jener von ganz unten.

Working Poor

Zwischen 1998 und 2001 war sie unter anderem in der Altenpflege und in einer Gebäudereinigungsfirma tätig und kommt zu folgenden Schlüssen: "Wenn jemand für weniger Lohn arbeitet, als er zum Leben braucht ..., hat er ein großes Opfer für Sie auf sich genommen. Die Working Poor sind in Wirklichkeit die Philanthropen unserer Gesellschaft. Sie vernachlässigen ihre eigenen Kinder, um sich um jene anderer zu kümmern. Sie leben in Substandardwohnungen, sodass die Wohnungen anderer Leute sauber und aufgeräumt sind. Sie nehmen Entbehrungen auf sich, und dadurch ist die Inflation niedrig, und die Aktienpreise sind hoch."

Sibylle Hamann analysiert für Europa eine Art gesellschaftliches Stillhalteabkommen zwischen Staat und Bürgern, damit gewisse Mythen weiter aufrechterhalten werden können. Konkret: der Mythos von der normalen Kernfamilie, jener von der modernen Superfrau, das Idealbild vom Sozial- und Wohlfahrtsstaat und das Märchen von einer Gesellschaft, die ohne Einwanderung auskommt. Alles brüchig und morsch, konstatiert Hamann, nur aufrechtzuerhalten mit "hunderttausend geheimen Helferinnen", die alle Risiken dieser asymmetrischen Beschäftigungsverhältnisse meist ganz allein tragen - in Form von Existenzängsten, schlechtem Gewissen, Demütigungen, sozialer Isolation, schwerer Arbeit und dem totalen Fehlen von Sicherheit. Wer sich die rund 200 Seiten einverleibt, kommt mit der Autorin zu dem beklemmenden Fazit: "Es gibt kaum eine Branche, in der die Gesetze der freien Marktwirtschaft so ungefiltert zur Anwendung kommen."

Lachen, obwohl es nicht lustig ist

Wer in der vergangenen Woche im Rahmen des Festivals Pimp My Integration im Wiener Theater Garage X Richard Schuberths Bühnenstück "Wie Branka sich nach oben putzte" gesehen hat, konnte über all das lachen, obwohl es gar nicht lustig ist. Da werden mit dem Mittel beißender Sozialsatire die Mechanismen zwischen es gut meinender Akademikerin mit Staubphobie und ihrer Putzfrau schonungslos aufgezeigt. Autor Richard Schuberth interessiert immer auch "die Kritik an der Kritik", wie er sagt. Er hat das ohnehin komplexe Putzfrauenthema noch einmal weitergedreht. "Was stinkt an unseren eigenen Ansichten?", fragt Schuberth sich und wendet sich vehement gegen eine vielfach in linksliberal-fortschrittlichen Kreisen grassierende Exotisierung und Romantisierung. "Bei Putzfrauen kommt hinzu, dass sie tatsächlich den Dreck anderer Leute wegmachen und das", sagt Schuberth, "hat tatsächlich eine äußerst kraftvolle Symbolik. "

"Ich komme mir so vordergründig vor hinter ihrem Migrationshintergrund", jammert Schuberths Magistra Moser und wäre am liebsten die beste Freundin ihrer Putzfrau Branka. "Wenn Sie nicht runterschauen wollen auf die einfachen Leute", kontert diese, "dürfen Sie nicht haben Dachgeschoßwohnung." So einfach. Nach einem fulminanten Showdown kommt es auf der Bühne der Garage X zu einem Rollenwechsel, was im echten Leben eher selten der Fall ist, und Branka spricht aus, was uns zum Denken bringen soll: "Es passt nicht in dein beschränktes Weltbild, dass eine Putze auch intelligent sein kann!"

Hungrig und ohne Geld am Westbahnhof

Im Gegensatz zu den meisten hierzulande, hat Anna Jermolaewa die Erfahrung, wie es sich anfühlt, trotz Kunstschulabschlusses und Matura mit scheinbar nichts anderswo zu landen - in ihrem Fall am Wiener Westbahnhof, hungrig und ohne Geld. Erst nach acht Monaten in Traiskirchen und einem kurzfristigen Job als Putzfrau bei der Firma Piwetz konnte sie wieder mit dem Studium in Wien beginnen, zunächst Kunstgeschichte und dann Kunst an der Akademie der bildenden Künste.

Mittlerweile ist ihre gesamte Familie aus Russland emigriert, viele sind nach Israel, ihre Eltern vor 15 Jahren mit 50 in die USA. "Die haben von null angefangen", sagt Jermolaewa. Ihr Vater hat zunächst auch viel in Fastfood-Ketten gearbeitet, mittlerweile wieder als Ingenieur. Ihre Mutter, eine Bibliothekarin, hat in amerikanischen Kirchen geputzt.

Putzfrauen und die Kunst

Für Jermolaewa ist das Zusammenspiel von Kunst und Putzfrauen erst einmal geglückt. "Ein Kapitel, das auch schwierig sein kann", weiß die Künstlerin und lacht. Sie denkt da etwa an die berühmte Fettecke von Joseph Beuys in der Düsseldorfer Kunstakademie, die von einer Putzfrau kurzerhand weggewischt wurde, oder an den Kalkfleck eines echten Martin Kippenberger im Dortmunder Museum, der erst kürzlich daran glauben musste. Die Demontage der Demontagekunst. Auch Jermolaewas Arbeiten wurden durch das Eingreifen von Putzfrauen schon manchmal neu interpretiert, erzählt sie.

Im Foyer der Arbeiterkammer Wien passieren diese Interventionen auf höchst subtile Weise. Gegen Abend leert es sich zusehends. Die Putzfrau im gestreiften Kittel schiebt noch immer ihren Putzwagen vor sich her. Mit einem Staubtuch wischt sie langsam über einen der TV-Monitore, auf denen Slobodanka in einer Endlosschleife aus ihrem Leben und ihrer Arbeit als Putzfrau erzählt. Die Blicke der beiden Frauen treffen sich. Die Putzfrau der Arbeiterkammer trägt einen Kurzhaarschnitt mit blonden Meschen. Ihr Alter ist schwer zu schätzen. Ist sie 45? 50 Jahre? Oder älter? Hat sie jemals einen der vier Kopfhörer genommen, um zu hören, was Slobodanka oder Mica zu erzählen haben? Hat sie sich die Fotografien an der Wand angeschaut? Oder lässt ihr Job ihr dafür keine Zeit? Wie viele Stunden Arbeit hat sie heute bereits hinter sich? Hat sie Kinder? Enkel? Wo leben die? Woher kommt sie? Seit wann ist sie hier? So viele Fragen. Die Antworten wissen wir nicht. Wir müssten die Frau nur fragen. (Mia Eidlhuber, DER STANDARD, Printausgabe 4./5.2.2012)