Zu Beginn eine Rückblende: Vor genau einem Jahr - der Aufstand in Ägypten war in vollem Gange, Präsident Hosni Mubarak stand wenige Tage vor seinem Rücktritt - drehte sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz alles um die Frage, wie denn mit den epochalen Umwälzungen im arabischen Raum umzugehen sei. Der Begriff des Arabischen Frühlings war noch jung, von einer Libyen-Intervention und einem möglichen Tod Muammar al-Ghaddafis war keine Rede, eine langanhaltende Rebellion in Syrien war unvorstellbar.

Konkrete Antworten fanden die Spitzen der Weltsicherheitspolitik damals nicht. Quasi stillschweigend einigte man sich im Bayerischen Hof darauf, in Zeiten so großer Unsicherheit pragmatisches Krisenmanagement zu betreiben - garniert mit ein paar Spritzern an freiheitlich-demokratischen Grundsätzen. "Die Prinzipien" , formulierte Hillary Clinton damals, "sind allen klar, die operationalen Details sind das Schwierige."

Heute sind tragfähige Antworten auf den Umgang mit den arabischen Aufständen weiterhin Mangelware. Dafür ist man um einige Erfahrungen reicher, die eine ohnehin schon komplexe Lage nicht einfacher machen. Und vor allem: Inzwischen geht es nicht mehr um Details, sondern die Prinzipien werden wieder infrage gestellt.

Russland und China haben dies mit ihren Vetos gegen eine Syrien-Resolution gezeigt. Beide Staaten haben der humanitären Intervention in Libyen zugestimmt, als man dort Massaker an der Zivilbevölkerung "nur" befürchten musste. In Syrien sterben die Menschen zu Tausenden, und es ist nicht einmal eine UN-Resolution möglich, in der eine Militäraktion gegen das Assad-Regime explizit ausgeschlossen wird. Dafür mögen viele, vor allem russische Interessen ausschlaggebend sein - Moskau will seine einträglichen (Rüstungs-) Geschäfte mit Damaskus und den einzigen strategisch wichtigen Außenposten außerhalb des exsowjetischen Geltungsraums nicht verlieren.

Andererseits schwindet bei den autoritären Regierungen in Peking und Moskau auch der Enthusiasmus, für die Selbstbestimmung selbstbewusster Bürgern einzutreten. Die weltweite Empörung vor allem gegenüber Russland speist sich nicht zuletzt aus diesem Grund.

Aus dieser Perspektive besehen, ist die Lage heute noch unsicherer, als sie vor einem Jahr war. Denn die vielen Initiativen, dem arabischen Übergang eine Richtung zu mehr Demokratie und Freiheit zu geben, fahren sich fest. Alle, die Hoffnungen in eine Neuordnung der Verhältnisse im Nahen Osten gesetzt haben, die ein Ende des Kalten Kriegs auch dort fordern, bleiben nicht nur ernüchtert, sondern durchaus erschrocken zurück.

So mag es auch kein Zufall gewesen sein, dass Kriegsangst diese Sicherheitskonferenz quasi "eröffnet" hat. Allein der Iran, um dessen Atomprogramm es in diesem Zusammenhang ging, ist beileibe nicht der einzige Krisenherd, an dem sich ein großer Konflikt in der Region entzünden kann.

Aus Syrien kann sich, im krassen Gegensatz zu Libyen, ebenso eine regionale Auseinandersetzung entwickeln, die von keinem der sicherheitspolitischen Akteure in unmittelbarer Nachbarschaft oder anderswo zu beherrschen ist. Und gegen den Preis einer solchen Auseinandersetzung erscheint die nun abgewiesene Resolution, eine Einhegung des Konflikts und ein Abtritt des Assad-Regimes wie eine einmalige politische Okkasion. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2012)