Auf der Suche nach der Zukunft des ORF: Susanne Glass (links oben), Korrespondentin der ARD für Österreich und Südosteuropa.

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Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter.

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Dieter Bornemann, Sprecher der ORF-Fernsehredakteure.

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Thaddäus Podgorski, langjähriger ORF-Journalist und ORF-Generalintendant von 1986 bis 1990.

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Susanne Glass wollte es vor dem Montagsgespräch des STANDARD noch einmal genau wissen. Die Korrespondentin der ARD fragte den Chef der "Tagesschau" nach Interventionen bei den ARD-Nachrichten. Der sagt laut Glass: "Bei ihm hat noch nie ein Politiker angerufen, um sich irgendetwas zu wünschen oder zu beeinflussen. Das traut man sich nicht. Das mag eine Art von politischer Hygiene sein oder auch Angst, dass man sofort in der Öffentlichkeit ist. Das ist ein No-Go. Was nicht heißt, dass vielleicht auf kleineren Ebenen immer mal wieder Versuche stattfinden."

Aber versuchte nicht gerade der deutsche Bundespräsident beim Chef der "Bild" zu intervenieren, fragt Moderator Gerfried Sperl? "Ich glaube nicht, dass er bei ARD aktuell angerufen hätte."

Natürlich kennt auch Deutschlands Gebührenfunk Politbesetzungen. Der Chefredakteur des ZDF musste auf Druck der CDU gehen. Doch die Größe insbesondere der ARD, die aus neun Landesanstalten besteht, helfe in solchen Fällen: "Da käme kein einzelner Sender damit durch, etwas parteipolitisch so stark in die Wege zu leiten, wie das meiner Meinung nach im Moment beim ORF ist."

Protest bewegte zum Verzicht

Zum Symbol für Politeinfluss auf den ORF wurde Niko Pelinka, der vom Fraktionssprecher der SPÖ im Stiftungsrat des ORF als Büroleiter zu ORF-Chef Alexander Wrabetz wechseln sollte. Der öffentliche Aufstand der Redakteure, nicht zuletzt über Social Media wie Youtube, bewegte Pelinka schließlich zum Verzicht.

"Das Selbstbewusstsein der Redakteure ist immens gestärkt", sagt Dieter Bornemann, Sprecher der TV-Journalisten. "Es ist nicht mehr so einfach, in den ORF hineinzuregieren." Nun sieht er die Möglichkeit, "in Zusammenarbeit mit dem Management das ORF-Gesetz zu ändern".

Wrabetz freilich war bisher gegen einen zentralen Punkt der Redakteursforderungen: Ein kleinerer Stiftungsrat, dessen Mitglieder ihre Qualifikation in Hearings nachweisen müssen. Bornemann: "Im Gesetz steht die Unabhängigkeit jedes einzelnen Stiftungsrates. In der Realität stimmen sie aber fast immer so ab, wie es die Parteien haben wollen. Darum fühlt sich der Generaldirektor verpflichtet, mit den Parteien zu verhandeln. Das führt die Unabhängigkeit ad absurdum. Wenn die Zuschauer das Gefühl haben, es ist im ORF eh alles ausgemauschelt, dann können wir Journalisten noch so unabhängig berichten, die Leute werden uns nicht glauben. Doch Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut von Journalisten. Sie müssen wir verteidigen."

Frage der Hygiene

ARD-Korrespondentin Glass fehlt in Österreich Grundsätzlicheres: "Die politische Hygiene, dass man sich nicht traut, mit Forderungen so keck in die Öffentlichkeit zu gehen, die Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und allem widersprechen, was im Gesetz steht. Stiftungsräte erzählen, was sie ausgemacht haben." Wo bleibe da der "öffentliche Aufschrei"?

Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell macht sich um den ORF "keine Sorgen, solange es diese Protestmöglichkeit gibt", die die ORF-Redakteure gerade demonstrierten.

Ex-General Thaddäus Podgorski freut der "Sieg der Redakteure". Und doch sieht er jeden ORF-General "dem Stiftungsrat ausgeliefert", wenn er wiedergewählt werden will. "Die Erpressungsversuche waren immer dieselben." (fid/DER STANDARD; Printausgabe, 8.2.2012)