Queertheoretikerin Sushila Mesquita will die (intime) Zweierbeziehung von ihrem rechtlichen Privilegien-Stockerl stoßen.

Foto: Mesquita

Die Disseration von Sushila Mesquita ist soeben in adaptierter Form beim Zaglossus-Verlag erschienen. 2011 hat Mesquita für ihre wissenschaftliche Studie den Johanna-Dohnal-Förderpreis erhalten.

Cover: Zaglossus Verlag

Jenseits von konservativer und moderner Familienpolitik entsteht gerade ein Ansatz, der Familie radikal neu denkt – weg von ihrer biologistischen Verfasstheit aus Vater, Mutter und Kind hin zur sozial definierten "Wahlfamilie". Eigentlich eine alte Idee, wenn wir an den 70ies-Disco-Klassiker "We are family" von Sister Sledge denken. Was hindert uns aber bis heute daran, mit Menschen, für die wir verantwortlich sein wollen, rechtlich anerkannte Beziehungen führen zu können? Wo liegen die Fallstricken bei der rechtlichen Integration von homosexuellen Paaren und wer sagt überhaupt, dass sich nur zwei Menschen die Obsorge für ein Kind teilen können? dieStandard.at sprach mit der Queer-Theoretikerin Sushila Mesquita über ihre Rezepte für eine Neupositionierung in der Familienpolitik.

dieStandard.at: Sie sind Queertheoretikerin und -aktivistin und leben in Österreich. Würden Sie hier gern eine Familie gründen?

Mesquita: Nein. Die rechtliche Situation von gleichgeschlechtlichen Eltern ist mehr als prekär, aber nicht nur in Österreich. In Deutschland gibt es zumindest die Möglichkeit der Stiefkindadoption. Als lesbische Mutter hätte ich hier keine Möglichkeit, ein gemeinsames Kind mit einer anderen Frau als weiterer rechtlicher Mutter aufzuziehen.

dieStandard.at: Im Zentrum Ihrer Kritik steht die Weiterentwicklung des herkömmlichen Familienbegriffs. Warum ist das nötig?

Mesquita: Der Begriff ist extrem umkämpft, das zeigt nicht zuletzt das eingetragene Partnerschaftsgesetz in Österreich, wo extra eine eigene Namenskategorie geschaffen wurde, um diese Paare nur ja nicht in die Nähe von 'Familie' zu bringen. Eingetragene PartnerInnen haben ja keinen Familien- sondern einen Nachnamen. Weil hier so stark um symbolische Grenzen gekämpft wird, finde ich es extrem wichtig, sich an dieser Ausverhandlung zu beteiligen. Familie heißt für mich mehr als Eltern mit Kindern, sie umfasst auch verschiedene Nahebeziehungen, in denen füreinander Sorge und Verantwortung getragen wird, in denen Nähe herrscht usw. Mir geht es darum, die Familie weg von diesem biologistischen – und in dieser Form historisch gesehen jungen – Konstrukt zu definieren.

dieStandard.at: Sollten Menschen dann z.B. ihr Pflegepersonal als Familie definieren können?

Mesquita: Das würde ich unterstützen, wenn die Beziehung eine enge ist und es von beiden gewünscht wird. In meiner Vorstellung der Anerkennung von 'Wahlfamilien' gäbe es dann z.B. die Möglichkeit, automatisch zu erben ohne, dass ein Pflichtteil an die Herkunftsfamilie geht. Oft sind die Pflegepersonen ja die engsten und nächsten Bezugspersonen für ältere Menschen – im Gegensatz zu ihren Herkunftsfamilien, die sich vielleicht nicht mehr wahnsinnig scheren, aber alle Rechte besitzen.

dieStandard.at: Nun gibt es ja bereits die Möglichkeit für Individuen, sich in Erbschafts- oder auch Unterhaltsfragen auf rechtlicher Ebene zu treffen.

Mesquita: Dabei handelt es sich aber um private Regelungen, die keinerlei Außenwirkung haben. Es geht für mich auch um das Symbolische der rechtlichen Anerkennung – dass es eben nicht nur eine anerkennungswürdige Beziehungsform gibt. Private Vereinbarungen sind außerdem beschränkt, z.B. beim Erbschaftsrecht, wo Kindern, Ehe- oder Eingetragenen PartnerInnen und Eltern ein Pflichtanteil des Erbes zusteht.

Ich würde nicht ausschließlich zu individualistischen Lösungen raten, auch deshalb, weil man dabei ein großes rechtliches Know How braucht. Diese Probleme treffen ja viele, insofern ist es nicht einzusehen, dass diese nur auf privater Ebene gelöst werden sollen. Mir geht es um die Frage, welche Beziehung es von staatlicher Seite überhaupt 'verdient', anerkannt und ernst genommen und mit Rechten und Pflichten ausgestattet zu werden.

dieStandard.at: Letztes Jahr haben sowohl Grüne als auch SPÖ Vorschläge für ein modernes Familienrecht gemacht. Wie beurteilen Sie diese Initiativen?

Mesquita: Mir gefällt es, dass die Grünen bei der Ehe anfangen und sie entrümpeln wollen. Die Vorschläge gehen mir aber zu wenig weit, weil es wieder nur um die Anerkennung von – zumindest auf dem Papier – intimen Zweierbeziehungen geht. Fazit: Sie sind sinnvoll, aber nicht genug.

dieStandard.at: Was wäre stattdessen zielführend?

Mesquita: Ich würde ebenfalls bei der Evaluation und Entrümpelung der Ehe beginnen. Der zweite Schritt wäre dann, die verbliebenen sinnvollen Regelungen – beispielsweise im Bereich des Erb- und Sorgerechts, des Mietrechts, des Zeugnisverweigerungsrechts, der Mitbestimmung im Krankheits- oder Todesfall oder des Fremdenrechts – allen Beziehungen zugänglich zu machen, die das wollen. Ich fände es sinnvoll, mehr als zwei Eintragungsmodelle zu schaffen, die auf unterschiedliche Bedürfnisse zugeschnitten und dabei flexibel sind.

dieStandard.at: Wie sieht es mit der Obhut von Kindern aus?

Mesquita: Gerade im Bereich der Obsorge halte ich es für wichtig, diese für mehr als zwei Personen zu öffnen, wenn dies dem Kindeswohl zuträglich ist und der Lebenssituation der Familie entspricht. Die rechtliche Absicherung soll sich an den Bedürfnissen und Lebenslagen der Menschen orientieren und weniger an formal-rechtlichen Beziehungen, die nur intime Zweierbeziehung offenstehen. In Kanada und Großbritannien gibt es bereits die Möglichkeit, dass mehr als zwei Personen das Sorgerecht für ein Kind teilen. Damit wird auch die soziale Elternschaft rechtlich anerkannt.

dieStandard.at: Und wie sind die Erfahrungen dort?

Mesquita: Ob es zu mehr Auseinandersetzungen kommt weiß ich nicht. Im Prinzip ist das aber kein Argument dagegen, denn Streit gibt es auch bei der jetzigen, vermeintlich einfacheren Regelung. Gesehen werden muss auch, dass die aktuelle Ausgrenzung gewisser Beziehungen bereits jetzt Leid, Konflikte und Rechtsunsicherheiten verursachen, beispielsweise bei einem lesbischen Elternpaar, wo die nichtleibliche Mutter quasi rechtlos ihrem Kind gegenübersteht.

dieStandard.at: In Ihrem Buch wenden Sie sich sowohl gegen Partnerschaftsgesetze als auch die Öffnung des Eheinstituts für Homosexuelle. Warum sind aus Ihrer Sicht beide Modelle abzulehnen?

Mesquita: Zunächst: Beide Modelle schaffen eine wichtige Form der Rechtssicherheit. Ich würde sie daher nicht ablehnen, da die Alternative keine gesetzliche Reglung wäre. Man kann sich aber nicht mit ihnen zufriedengeben. Bei der eingetragenen Partnerschaft gibt es das Problem, dass eine klare Hierarchisierung und Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren gegen über heterosexuellen bestehen bleibt. Diese Art von Hierarchisierung fällt weg, wenn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wird, was ein riesen Fortschritt wäre. Was gleich bleibt, ist, dass wieder nur eine Beziehungsform privilegiert und in den Genuss von Rechten kommt – die intime Zweierbeziehung. Die Ehe wird durch eine Öffnung für Homosexuelle als Institution noch einmal gestärkt. Es wird überhaupt nicht gefragt, warum bestimmte Rechte an das Bestehen von intimen Zweierbeziehungen gebunden sind.

dieStandard.at: Sieht das Ideal der Zukunft aus, dass dann alle Menschen uneingeschränkt füreinander sorgen können?

Mesquita: Rechtliche Anerkennung für unterschiedliche Beziehungsformen zu fordern, öffnet ein Spannungsfeld: man muss aufpassen, dass man damit nicht der Familiarisierung von sozialer Sicherheit Vorschub leistet, also der Übertragung der sozialen Verantwortung in den privaten Bereich. Diesen Problemen müssen sich auch queer-feministische Familienpolitiken stellen. Ich habe meinen Ansatz deshalb auch als Gesamtpaket formuliert, der den unabhängigen Anspruch auf Sozialleistungen aber auch des Aufenthaltsstatuses unbedingt mitdenkt. Es geht mir darum, mehr Wahlfreiheit zu schaffen und das Familienrecht bedürfnisorientierter zu gestalten. (dieStandard.at, 9.2.2012)