Ritschl: Deutsches Wirtschaftswunder dank Schuldencut.

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London/Berlin/Wien - Parallelen zur Weimarer Republik sieht der deutsche Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der London School of Economics beim derzeitigen strikten Spardiktat gegenüber Griechenland: In der Zwischenkriegszeit hatte Frankreich darauf bestanden, dass Deutschland seine Schulden und Reparationszahlungen, die aus dem Ersten Weltkrieg stammten, auf Heller und Pfennig zurückzahlt. Deutschland aber war dazu nicht fähig, insbesondere, als in den späten 20er-Jahren wegen der Weltwirtschaftskrise alles darniederlag.

"Man hat den Eindruck, Deutschland, ja, die gesamte EU nehmen gegenüber Griechenland eine Position ein, die ähnlich der ist, wie sie vonseiten Frankreichs gegenüber Deutschland damals war", sagt der Wirtschaftshistoriker. Er plädiert dafür, sich besser die Großzügigkeit zum Vorbild zu nehmen, die nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte: Im Londoner Abkommen von 1953 gewährten die USA, Großbritannien und Frankreich Westdeutschland weitreichende Schuldennachlässe. Und mit dem Marshallplan waren umfangreiche Strukturhilfen verbunden. Mit dem Schuman-Plan kam es zu einer Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion. "Das waren alles sehr günstige Abkommen für Deutschland - was Deutschland jetzt vergessen hat".

Der Vorwurf vieler Griechen, Deutschland habe noch Schulden gegenüber Griechenland aus dem Zweiten Weltkrieg, stimmt laut Ritschl - dies seien immerhin rund 3,5 Milliarden Euro, hat er hochgerechnet. Es geht dabei um Verrechnungsschulden, die dazumal mit 500 Millionen Reichsmark zu Buche standen.

Umsetzungsprobleme sieht Ritschl bei einer Aufbauhilfe à la Marshallplan: Dieser wurde damals einem quasi militärisch besetzten Deutschland gewährt; wohingegen Griechenland souverän ist - "und die Geldgeber wollen halt gerne mitbestimmen, was mit ihrem Geld gemacht wird." Und so werde in dem derzeitigen Schuldengezerre auf einen Aufbau der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Griechenlands vergessen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2012)