Unter den Originalkeramikfliesen der Firma Schwadron erinnert Heidrun Holzfeind an den 1938 emigrierten Wiener Architekten Ernst Schwadron (1896-1979).

Foto: Ottenschläger / Bawag Contemporary

Die Bawag Contemporary widmet Holzfeind eine Ausstellung.

Wien - Nicht mehr als elf Quadratmeter pro Person. So sah es in Polen die nationale Norm für Wohnbau vor. Und so baute man auch. Etwa in den zwischen 1965-1972 im Zentrum Warschaus hochgezogenen 19 Wohnbaublöcken von Za Żelazną Bramą, dem historisch größten Wohnbauprojekt der polnischen Hauptstadt. Allesamt 16 Stockwerke hoch waren die Gebäude, konzipiert für insgesamt 25.000 Menschen - quasi die Einwohner einer Kleinstadt: Za Żelazną Bramą (Behind the Iron Gate), nannte die österreichische Künstlerin Heidrun Holzfeind auch ihre filmische Dokumentation über den Komplex.

Holzfeind, die in den 1990er- Jahren in Wien bei Michelangelo Pistoletto studierte, arbeitet überwiegend in den Medien Fotografie und Video; ihr Hauptinteresse gilt der Architektur der Moderne. Im Film geht es der Künstlerin jedoch weniger um die Ideologie hinter den Gebäuden als um eine Überprüfung ihrer Lebens- und Alltagstauglichkeit. Das zeigt sich etwa darin, dass Holzfeind gänzlich auf einen, Objektivität vermittelnden Off-Sprecher verzichtet.

Vielmehr lässt sie die Bewohner erzählen - und einen Architekten: Corbusiers Theorie von "multiplen, sich stumpfsinnig wiederholenden Appartment Blocks" habe einfach perfekt zur Denkweise der sozialistischen Machthaber gepasst, urteilt dieser sarkastisch. Die Bauten ließen sich leicht realisieren.

Einst waren die Wohnungen in Za Żelazną Bramą die teuersten von ganz Warschau; Professoren und Schauspieler lebten hier. "Zu Beginn kam es uns wie ein Palast vor", erinnert sich ein alter Mann. Verächtlicher spricht die jüngere Generation. Das Wohnen im Koloss sei mit dem Absteigen in anonymen Hotels vergleichbar.

"Wir wissen, welche Auswirkungen auf die Psyche - von Kindern, aber auch von Erwachsenen - solch' limitierte Platzverhältnisse haben. Es züchtet Aggression", mahnt eine Dame. Das Beste wäre daher, rät sie sarkastisch, man verböte Familien hierher zu ziehen.

Holzfeinds 55-Minüter (zuletzt vor 14 Tagen im Mumok Kino, Ende April im Rahmen von Crossing Europe in Linz zu sehen) ist zwar nicht Teil ihrer Ausstellung Strictly Private bei Bawag Contemporary, er führt jedoch exemplarisch vor, worum es der Künstlerin geht: Sie befragt Architektur in ihrer Eigenschaft als sozialer Raum, überprüft die utopischen Versprechen, mit denen sich die Wohnbauideen der Moderne verknüpften. Ihre Maßeinheit ist der Mensch - die Schicksale der in den Wohnmaschinen lebenden Individuen.

Mit dem Porträt Za Żelazną Bramą vergleichbar ist Colonnade Park, eine Arbeit aus Fotos und einem Video über die von Mies van der Rohe ab 1954 in New Jersey errichteten Appartmentgebäude: Bei den Bewohnern kommt das gläserne Haus weitaus besser weg, als die Schuhkarton-großen Familieneinheiten in Warschau. Womöglich auch, weil im Monument aus Stahl und Glas bereits die anonyme, vereinsamte Single-Gesellschaft Einzug gehalten hat.

Zerplatzt wie Seifenblasen

Holzfeinds Fotos der kühlen Riesen sind mit schillernden Schlieren überzogen. Ein Effekt mit Mehrwert: So ist dieser zwar durch einen Fehler im Film bedingt, er vermittelt aber - ähnlich dem Bild einer zerplatzenden Seifenblase - das Bersten moderner Architekturideologie.

Formal überaus überzeugend ist auch eine weitere Arbeit: Holzfeinds Auseinandersetzung mit dem Wiener Architekten Ernst Schwadron (1896-1979). Er lebte vor seiner Flucht 1938 unter dem Dach jenes Hauses am Franz-Josefs-Kai in dem heute die Bawag Foundation untergebracht ist. Im Erdgeschoß befand sich der Fliesenschauraum des väterlichen Betriebs. Holzfeind heftete sich auf Schwadrons Spuren, reiste in die USA, wo er sich ein Haus mit dem Namen Klein Österreich baute.

Seine Lebensgeschichte montiert Holzfeind aus Interviews, Fotos und Interieur-Zitaten seiner Wiener Wohnung: einem Teppich nach dem Originalentwurf seiner ersten Frau Erna Lederer und einem Kaminsimszitat. In einer an die Wand gepinnten Trachtenbrosche spinnt Holzfeind, die dichterische Freiheit einer Künstlerin auskostend, Schwadrons bizarren Österreichkult weiter. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 16. Februar 2012)