Seeed
Music Monks
(EastWest/Warner)

Foto: EastWest/Warner
Das Berliner Reggae- und Dancehall-Kollektiv "Seeed" ("Dickes B") entwickelt sich auf "Music Monks" von charmant-naiver lokaler Größe zum international ausbaufähigen Act.


Mit elf ständigen Mitgliedern gilt das Berliner "Seeed" als Deutschlands munterster, fußballmannschaftsgroßer Flohzirkus, wenn es darum geht, die Meute im Club zum Tanzen zu bringen. Nach dem amtlich als Sommerplatte des Jahres 2001 firmierenden Debütalbum New Dubby Conquerors und einer ebenso naiven wie mitreißenden Mischung aus Old School Reggae, Ska, Dub, Dancehall und einer Prise HipHop mit deutsch-englisch gebrabbeltem Mischgesang haben sich Seeed neben Patrice, Gentleman und Ian Delay als wichtigste Formation etabliert, wenn es um eines geht: der Musik Jamaikas auch im kalten Norden Deutschlands eine eigene (und unpeinliche) Stimme zu geben.

Dickes B, ihre famos-rockende Liebeserklärung an Berlin, oder die Single Dancehall Caballeros stellten nicht nur unter Beweis, dass es sich bei Seeed um souveräne Spieler mit fremden musikalischen Traditionen handelt. Wir haben es hier auch mit in ihrem Gebiet großen Wissenden um das Geheimnis des Pop zu tun. In den dazu gereichten Videos spielte man sowohl mit dem Image von Al Capone-Gangstern im Chicago der 30er-Jahre als auch mit dem nicht kaputt zu kriegenden Bild des Outlaws im Wilden Westen. Schwere Zeichen, das Spiel mit Symbolen werden im Pop seit jeher nur plastisch angerissen, nicht aber vertiefend aufbereitet oder gar erklärt. Das macht Pop in seinen besten Momenten so unangreifbar wie frei lesbar und deutbar.

Abgesehen davon, dass es sich hier im Zusammenhang mit Jamaika sowohl um eine gefährliche Gratwanderung bezüglich kolonialistischer Ausbeutung einer fremden Kultur handelt als auch um die Adaption einer teilweise unglaublich sexistischen und homophoben Weltsicht, die in der Geschichte des Pop sonst in dieser Dichte nur im US-HipHop zu finden ist (man erinnere sich nur an die Texte aktuellerer jamaikanischer Charts-Stürmer wie Shaggy oder Shabba Ranks als deklarierte Vorbilder der Berliner): Seeed erweisen sich auch auf dem neuen Album Music Monks als gefühlvolle Adaptierer und nicht bloß als beflissene Epigonen.

Im Sinne einer Völker, Geschlechter und verschiedene sexuelle Ausrichtungen aussöhnenden, allumfassenden Party hat sich die Band um Spielführer Enuff alias Pierre Baigorry auf dem neuen Album Music Monks nicht nur dazu entschlossen, bezüglich des neuen Images als Kampfmönche eine deutsche Entsprechung zum US-HipHop-Verband Wu-Tang Clan zu geben. Auch die neuen Songs bewegen sich im Vergleich zum Vorgänger eindeutig in eine eigenständige, vielfältigere Richtung, die Seeed endgültig vom Kopisten-Vorwurf freisprechen. Zwar hat man sich möglicherweise aus Gründen der Vorsicht dazu entschlossen, ein textlich unerhebliches Lob der Party neben die Herausstellung der eigenen Größe und Einzigartigkeit zu stellen. Man kann das im Titelsong nachhören. So rückt man sowohl in die Nähe altbekannter deutscher HipHopperei - wie man freiwillig Inhalt zu Gunsten von Oberfläche aufgibt. Die deutlich "technoider" ausgerichteten Rhythmen, inzwischen auch von jamaikanischen Szenegrößen wie Capleton und Sizzla gern bei Live-Shows als Basis verwendet, zeigen aber einen eigenen Weg in die Zukunft.

Sprachlich mag dabei vor allem in den deutschen Sprechtexten von Pierre Baigorry Einiges an Charme und oben angeführter Naivität verloren gegangen sein. Andererseits wird in der abgerundeten und perfektionierten Mischung aus dem jamaikanischen Slang des Patois, schön gesprochenem Schulenglisch und internationalistischer Berliner Schnauze dadurch eine Homogenität erzeugt, die auch in "Mutterländern" von Dancehall und Reggae für Erfolg sorgt. Der Track Waterpumpee ist in den Charts von Tobago und Trinidad gegenwärtig ebenso vertreten wie als exotischer Fremdling in Japan.

Live eilt der Band ein fabelhafter Ruf voraus. Im Sommer wird man sich bei diversen Festivals davon überzeugen können. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2003)