Wie der Container aufs Meer kommt und was währenddessen an Land geschieht: "The Forgotten Space" ist ein ebenso informatives wie kunstvoll gebautes Doku-Essay zum globalen Güterverkehr.

Foto: Stadtkino

Wien - Standardisierte Frachtcontainer sind ein Produkt der Rationalisierung: eine "amerikanische Erfindung der Fünfzigerjahre", die längst den weltweiten Warenverkehr beherrscht, "eine feste physikalische Maßeinheit des Handels", eine Art von überdimensionaler Legostein oder - " Gangsterkoffer voller Dollars".

Diese Annäherung an einen Gegenstand, die sachdienliche Hinweise sukzessive mit mehrdeutigen Analogien, sprechenden Bildern unterfüttert, ist charakteristisch für den Dokumentarfilm The Forgotten Space. Allan Sekula, bildender Künstler, der seit langem mit Fotografie und über Arbeitswelten arbeitet, und Noel Burch, Filmhistoriker und Filmemacher, haben sich für dieses Unternehmen zusammengetan. Ihr Film, so heißt es in einem Statement der beiden, sei ein "Film über die Globalisierung und das Meer, den 'vergessenen Raum' unserer Moderne". Der Container wird also einerseits aufs Schiff begleitet. Ist er dort einmal ordnungsgemäß verstaut, so erfährt man, dann hat die Mannschaft weniger mit klassischer Seefahrt als mit der Bekämpfung des Rostes zu tun, der den Schiffskörper auf See befällt. Das Putzen, Abschuppen und Anstreichen der Wind und Wasser ausgesetzten Oberflächen macht einen ganz entscheidenden Teil der Arbeit aus.

Während diese schwimmenden Lagerhäuser die Ozeane durchmessen, dockt der Film andererseits immer wieder am Festland an: in Bilbao, Rotterdam, Los Angeles und Hongkong. Dort spürt er den verzweigten Ausläufern nach, die sich vom Geschäft auf den Meeren ins Hinterland ziehen.

Waren und Kröten

Man begegnet Hafenarbeitern, die inzwischen hochtechnisierte Tätigkeiten verrichten, einsam in ihren Kontrollkanzeln. Und einer Handvoll Niederländern, die in ihrem Geisterdorf noch die Stellung halten: Die Betouweroute, eine Bahnstrecke, die dem Warenverkehr dienen sollte, hat sie von ihrem Umland, ihrem Umfeld, ihrem alten Leben abgeschnitten. Am Rand der Trasse steht irgendwo eine Mammut-Skulptur in der Landschaft. Unterhalb des Bahndamms hat man an manchen Stellen Tunnels angelegt, weil die Schienen die Route der Krötenwanderung kreuzen. Allerdings, sagt ein Anrainer, habe man dabei nicht bedacht, dass dort unten zur Zeit der Wanderung das Wasser stehe.

The Forgotten Space enthält und enthüllt eine Fülle von solchen irritierenden Zusammenhängen. Im Zusammenspiel von Kommentar und ruhig montierten Bildern entsteht ein dichter dokumentarischer Essay. Zum Kinoeinsatz gelangt dieser nun in einer neu vertonten Fassung: Nina Hagen hat einen deutschen Kommentar eingesprochen. Wenn man noch den ursprünglichen, unaufdringlichen englischen Erzähler im Ohr hat, dann sind ihre Reibeisenstimme und ihr Märchentantenduktus erst einmal ein Schock. Das legt sich zum Glück, weil der Text einen auch so schnell für sich einnimmt.

In Bilbao begegnet man jener Form von spätkapitalistischem Strukturwandel, der brache Industriestandorte zu blühenden Kunstmetropolen umgestaltet: Für das schimmernde Guggenheim Bilbao zum Beispiel, das auf dem ehemaligem Hafengelände steht, ist der Rost kein Problem. Es wurde, so heißt es, aus einst für die Raumfahrt entwickeltem Material hergestellt, welches in ehemaligen Sowjetrepubliken heute günstig zu haben ist. Im Gebäude sind mächtige Skulpturen von Richard Serra ausgestellt, die im Bauch des rostfreien Museums rostrote gewundene Gänge auslegen.  (Isabella Reicher    / DER STANDARD, Printausgabe, 1.3.2012)