Raoul Schrott nimmt sich in seiner Erzählung eines relevanten Themas an: der schweigenden Väter, die, zumal ohne Trauschein, im Kampf um ihre Vaterrechte vor Gericht nahezu chancenlos sind.

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Ein Mann gesteht seiner Tochter, dass er ihrer Mutter nach dem Leben getrachtet hat. Das ist ein starkes Stück und verspricht ein starkes Stück Literatur. In 33 Kapiteln lässt Raoul Schrott den erfolglosen Maler Andreas seine Beichte ablegen, sein Gegenüber Isa, das "schweigende Kind", schweigt einmal mehr. Sehr bald wird klar, dass die Mutter tot und die Tochter für ihren Vater unerreichbar ist. Dieser lebt zerrüttet in einer "Anstalt". Die Erzählung beginnt mit Isas Geburt in Paris. Gleich danach stürzt sich Andreas in ein Auftragswerk: eine Darstellung des Sternenhimmels. Von da führen fein verzweigte Wege in das Davor und Danach. Auf der Reise nach Kroatien, wo er die Bilder beim dubiosen Auftraggeber abliefern soll, wird er schon von einer anderen Frau namens Kim begleitet. Die Kindesmutter, die als Einzige keinen Namen erhält, hat mit ihm Schluss gemacht und den Kontakt zu Isa nahezu unterbunden. Und die Kleine hat sich in ein Schweigen gerettet, das die Ärzte Mutismus nennen.

"Das schweigende Kind" könnte auch, wie der Icherzähler es formuliert, "Die gekaufte Nacht" heißen. Bei der eindrücklich geschilderten Bilderübergabe auf einem Bauernhof muss Andreas erkennen, dass man ihn missbraucht hat: Der Auftrag hatte wenig mit Kunstbegeisterung zu tun. Das angekündigte Festessen findet nicht statt, der hohe Besuch erscheint nicht. Der Maler wird, widerwillig fasziniert, in eine Welt hineingezogen, in der Kinderliebe und Gewalt einander nicht ausschließen - und er bestellt für Isas Mutter den Tod. Am Schluss rückt ein Brief von Andreas' Psychiater das Mordkomplott wieder in ein anderes Licht.

Raoul Schrott nimmt sich hier eines zweifellos relevanten Themas an: der schweigenden Väter, die, zumal ohne Trauschein, im Kampf um ihre Vaterrechte vor Gericht nahezu chancenlos sind. Und doch wird man den Eindruck nicht los, dass mit dieser Geschichte etwas nicht stimmt. Der Mann in der ungewohnten Opferrolle (wobei zuletzt ja doch die Frau dran glauben muss) ist hier Teil eines Denkschemas, über das der Text keine Rechenschaft ablegt. Isas Mutter, das Aktmodell, mit dem Andreas eine Familie gründen wollte, erfüllt alle Klischees des männerverschlingenden Ungeheuers: eine Mischung aus Femme fatale und Megäre, lüstern, geheimnisvoll, gewalttätig, eifersüchtig, labil. Von Andreas fordert sie Sadomasopraktiken mit heißem Wachs, Fesselungen, Schläge. Der Vater, der hier der Tochter seine Liebe erklärt und solches en détail schildert, ist selbst ein Beschädigter. Der Wunsch der Frau, sich von ihm erniedrigen zu lassen, klagt er, habe in Wahrheit ihn erniedrigt. "Das Weib ist die Schuld des Mannes", verkündete Otto Weininger in Geschlecht und Charakter 1903. Denn der Mann hänge am Koitus, die Frau sei keineswegs böse: "Sie ist nur amoralisch, gemein." In Schrotts Erzählung weiningert es in der Tat ganz gewaltig, auch und gerade wo es um die wahnhaft besitzergreifende Haltung der Mutter gegenüber dem Kind geht, das erst im Reagenzglas gezeugt werden konnte.

"Die Individualität des Kindes ist der Mutterliebe ganz gleichgültig, ihr genügt die bloße Tatsache der Kindschaft: Und dies ist eben das Unsittliche an ihr", sagt Weininger, mit dem der Erzähler den Hang zum Schwülen und zum Schwulst und zum Apodiktischen teilt. Selbstanklage und Selbstmitleid werden in seinem Monolog eins. " Deiner Mutter zu verzeihen, so weit bin ich noch nicht. Doch was heißt Schuld? Wie das Böse ist sie (...) reine Zuschreibung." An der Bürde der Bedeutsamkeit hat Andreas' Geständnis schwer zu tragen. Von Anfang an - jedes Kapitel beginnt mit einer Sentenz - haftet seinem Sprechen etwas Gesuchtes und Gestelztes an. Über die fruchtlosen Bemühungen des Paares sagt er: "Und unser Begehren wuchs desto mehr, als wir es für jene Tage zurückhielten, in denen deine Mutter fruchtbar wurde, um uns eine Stunde zu suchen, die dann ganz für sich bestand, heil blieb." Einzelne schöne Bilder ("als steckte mir ein Vogel in der Kehle (...), seine nassen Federn stickend an Zunge und Zähnen") ragen aus einer Reihe von missratenen. Begriffe wie Enigma, Trajektorien und Maelstrom (statt Mahlstrom) fließen dem Erzähler leicht aus der Feder, aber er schreibt " Limbus patrorum" für "Limbus patrum", die Vorhölle der Väter, und weiß nicht, dass es "das Ethos" heißt. Da hätte der Catull- und Homer-Übersetzer Schrott ihm beispringen müssen.

Das Konzept der Seelenlandschaft des neusachlichen Malers Herbert Reyl-Hanisch, von dem das Motto des Buches stammt, geht hier nicht auf, wohl aus Mangel an Sachlichkeit. "Ob es mir an Talent mangelte oder ob ich aufgrund meiner Erziehung die falsche Geisteshaltung mitbrachte, vermag ich nicht zu sagen", meint Andreas. Dass das ein wenig inspirierter Stil ist, steht aber fest."Ah, dieses Pathos; und wie viele Entsprechungen ...", heißt es über den Schmerz, den die Frau braucht, um ihre Leere zu füllen. Auch in diesem Text dient das Pathos zum Kaschieren eines Hohlraums. Der falsche Ton kommt daher, dass der Erzähler zu sich selbst nicht ehrlich ist und sein Autor auf ihn hereinfällt. Denn der Subtext heißt: Nicht der Mörder, die Ermordete ist schuldig. (Daniela Strigl / DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.3.2012)