Franz Schmid (l.) und Leopold Dienstl, Abholer der Bestattung Wien, beladen den Lkw mit Särgen. Auf Aufklebern steht, wer darin wo ruhen soll. Zunächst müssen aber die Toten geholt werden

Foto: Christian Fischer

Wien - Sieben Uhr früh, ein kalter Wind bläst durch den Innenhof der Bestattung Wien in der Goldeggasse im 4. Bezirk. Das Tor zum Sarglager steht weit offen. "K2, ohne Kreuz, weiße Einlage", liest Leopold Dienstl vor, graue Jacke, graue Hose, graues kurzes Haar. K2 ist ein Holzsarg für das Krematorium, erhältlich mit oder ohne Kreuz sowie mit Innenbett, zum Beispiel in Weiß oder Rot.

Partieführer Dienstl und seine Kollegen, Erich Donner und Franz Schmid, hieven eine Totenkiste nach der anderen in einen Klein-Lkw, der äußerlich an einen Geldtransporter erinnert. Als die Tour um 7.30 Uhr beginnt, sind zehn leere Särge aufgeladen; Dienstl hat mehrmals die Daten der abzuholenden Verstorbenen überprüft.

"Die richt'ge Leich' im richt'gen Sarg zur richt'gen Zeit am richt'gen Ort", sei das Ziel, erklärt der 53-Jährige. Ein Satz, den er auch Karl Markovics gesagt haben muss, denn er fällt im Film Atmen, für den der Schauspieler und Regisseur bei der Bestattung recherchierte und drehte. 61 Abholer gibt es in Wien. Einstiegsgehalt: 1415 Euro brutto. Sie hackeln im Schichtbetrieb, jeden Tag. 24 Stunden, in denen rund 50 bis 60 Tote abzuholen sind. Zwischen November und Februar meist etwas mehr.

"Der Tod schläft nicht", sagt Dienstl. Schmid (47), früher Milchtransportfahrer, startet den Wagen. Erste Station: das Untergeschoß eines Wiener Spitals. Dienstl verliest wieder Namen, das Trio hebt Särge auf fahrbare Gestelle und schiebt sie in die Prosektur. Vor dem Einladen wird dann noch einmal der Sargdeckel gehoben. Dienstl überprüft die Daten des Verstorbenen am Hand- oder Fußpass. "Christlichen" stecken die Männer ein kleines Holzkreuz in die Hand. Die Toten tragen bereits Begräbniskleidung. Schuhe hat keiner an. "Aus Umweltgründen", erklärt Dienstl. 30 bis 45 Kilo wiegt ein gewöhnlicher Holzsarg. Je nach Gewicht des Toten heben die Bestatter nun je um die hundert Kilo in den Wagen.

Waschen, kämmen, umziehen

Nächstes Ziel: Friedhof Aspern, von dem eine Tote fürs Begräbnis nach Hirschstetten, wo kein Kühlraum steht, geführt wird. Es folgen Fahrten nach Stammersdorf, Jedlersdorf, Jedlsee, wo weitere Särge abzuliefern sind.

Handyläuten. "Wir haben eine Hausabholung reingekriegt", sagt Dienstl, als er auflegt. Ein 72-Jähriger, der unerwartet gestorben ist. Er muss sanitätspolizeilich obduziert werden, das bedeutet für die Männer, dass sie ihn mitnehmen, wie er ist. Kein Waschen, Kämmen, Umziehen, Rasieren wie sonst bei den meisten Aufträgen von Privaten oder aus Altenheimen. Eine Tätigkeit, für die es eine Gefahrenzulage gibt: sechs Euro pro Person und Abholung, wegen Ansteckungsgefahr.

Schmid hält den Wagen vor einem Einfamilienhaus. "Handys aus", erinnert Dienstl, der vorgeht und anläutet. Donner und Schmid laden einen Metallsarg aus und betreten den Garten - langsamen Schrittes, wie bei einer Beerdigung. Nach wenigen Minuten sind sie zurück.

Grüß Gott zum Abschied

"Guten Tag und auf Wiedersehen", dürfe man Hinterbliebenen nicht sagen, sagt Dienstl auf der Weiterfahrt. "Manche regen sich auf: Ich will Sie nicht wiedersehen." Also heißt's stets "Grüß Gott", auch zum Abschied. Dienstl ist seit 19 Jahren Abholer - ein reiner Männerberuf. Vorher war er 20 Jahre bei einer Spedition. Diskussionen um Beamtenpensionen und -gehälter ärgern ihn. "Ich bin Beamter wie Lehrer und Richter, aber wie soll ich das so lange machen?", fragt er.

Dabei mag Dienstl den Job, er sei physisch und psychisch hart, aber abwechslungsreich. Seine Partie wird bei Schichtende mehr als 1,5 Tonnen getragen haben und 108 Kilometer gefahren sein. "Ein ruhiger Tag", befindet das Trio. Ihr ältester Kollege (62) habe Probleme mit dem Rücken und mache nur noch Einzelabholungen, erzählt Dienstl, der nicht zu pro-gnostizieren wagt, wie es ihm in zehn Jahren gehen wird.

Nach Stopps bei den Friedhöfen Grinzing und Döbling heißt das nächste Ziel Zentralfriedhof. Beim Krematorium laden die Männer alle Totenkisten bis auf den Metallsarg aus. Dann geht es zu den Obduktionscontainern. Als die Abholer die Kühlkammer der städtischen Leichenöffnungsstelle aufmachen, schießt ihnen der süßliche Geruch des Todes in die Nase. Das Trio lädt den Verstorbenen auf eine Bahre und beeilt sich, die Türen zu schließen. Das Odeur des Todes folgt ihnen in die Fahrerkabine.

Die Abholer sind einiges gewöhnt. Unfalltote, von Zügen Überrollte, Selbstmörder, "es gibt nichts, was es nicht gibt", meint Dienstl. In manchen Fällen brauchen sie Overalls und Atemmasken ("aber die fangen nur Staub ab"). Immer wieder sind Tote, die wochenlang keinem abgingen, abzuholen. Dann treffe man meist auf einen "Madenteppich".

Der Lkw passiert Ehrengräber. "Da liegen die ehemaligen Präsidenten", sagt Dienstl und zeigt auf die Gruft. "Die hatte ich alle schon in der Hand." Vor etwa zwei Jahren habe man sie umbetten müssen. Viel öfter als auf Prominenz trifft Dienstl aber auf Armut. "Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie manche Menschen in Wien leben", sagt der Abholer und erzählt von Messie-Haushalten.

Zurück in der Goldeggasse. 2013 sollen die Abholer von dort wegziehen, ins neue Gebäude beim Zentralfriedhof. Dann sind wohl auch die Stempelkarten in der Einfahrt passé und die Siebzigerjahre-Lampen im Gemeinschaftsraum. Dort hängt über der Kaffeemaschine ein Kalender, der Goethe zitiert: "Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst." Dienstl verabschiedet sich: "Auf Wiedersehen", sagt er. (Gudrun Springer, DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.3.2012)