"Lex Barker war ein 1,93 Meter großer Athlet, so hätte Karl May sich bestimmt gerne gesehen": Pierre Brice als Winnetou  und Lex Barker als Old Shatterhand  in "Winnetou 3"

Foto: Universum Film (UFA)

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"Ich bin der Traumvermittler für mehrere Generationen gewesen": Pierre Brice, hier im Juni 2011als Stargast  bei einem Karl-May-Festival im ostdeutschen Radebeul.

Pierre Brice, geboren 1929 in Brest in der französischen Bretagne, spielte neben Winnetou in vielen verschiedenen Fernsehserien und war auch als Sänger tätig. Seine Autobiografie "Winnetou und ich" erschien 2004.

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Mit dem französischen Schauspieler sprach Stefan Brändle.

Standard: Sie haben sicher genug davon, dass man Sie zu Winnetou befragt ...

Brice: Aber nein, warum denn? Winnetou war und ist ein wichtiger Teil meiner Karriere. Jeder Schauspieler wünscht sich Erfolg, und durch Winnetou habe ich enormen Erfolg gehabt. Mein Publikum ist immer noch da, ich bekomme immer noch viele, sehr viele Briefe und E-Mails, auch von Kindern und Jugendlichen. Winnetou gehört zu mir, wie könnte ich da genug von ihm haben?

Standard:  ... aber der 100. Todestag von Karl May macht dies eben unumgänglich. Was bedeutet Ihnen dieser Anlass?

Brice: Ehrlich gesagt: Ich sehe weniger den 100. Todestag als vielmehr mein 50-Jahr-Jubiläum als Winnetou. 1962 haben wir den ersten Winnetou-Film gedreht, Der Schatz im Silbersee. Diese Rolle hat mein Leben und meine Karriere verändert. Vorher habe ich auch Bösewichte und Mörder gespielt - seit Winnetou war das nicht mehr möglich, weil mich das Publikum und die Produzenten nicht mehr in diesen zwielichtigen Rollen sehen wollten. Ich hatte vorher viel in Italien gedreht, wo mir eine Tür geöffnet wurde. Damals, als wir den Schatz im Silbersee drehten, konnte ich noch nicht wissen, dass sich in Deutschland bald schon das Portal einer Kathedrale öffnen würde. Heute bin ich meinem Publikum dankbar, das mich, trotz meines Wunsches, andere Rollen zu spielen, immer wieder bestärkt hat, weiterhin Winnetou zu sein. Ich bin der Traumvermittler für mehrere Generationen gewesen - eines Traums von Freundschaft, Respekt anderen Menschen und ihren Überzeugungen gegenüber, eines Traums von Toleranz.

Standard:  Wenn Karl May die Winnetou-Filme hätten sehen können - hätte er sich darin wiedererkannt?

Brice: Inhaltlich vielleicht schon, auch wenn einige eingefleischte Karl-May-Fans sagen, dass die Filme kaum etwas mit den Büchern gemeinsam haben. Aber wenn man Bücher verfilmt, muss man sie adaptieren. Die Romantik, die Werte, die Karl May seinen Figuren gegeben hat, die hätte er in den Filmen wiedererkannt. Optisch bin ich mir nicht sicher, Winnetou sah anders aus, als er ihn beschrieben hatte, doch ich habe ihn mit der Würde gespielt, die Karl May ihm gab. Mit Lex Barker als Old Shatterhand wäre er, glaube ich, auch sehr glücklich gewesen. Karl May war relativ klein, wollte aber größer sein. Und Lex war ein 1,93 m großer Athlet, so hätte Karl May sich bestimmt gerne gesehen.

Standard:  May war ein Flunkerer, landete auch mal im Gefängnis. War das letztlich nicht eine günstige Voraussetzung, um sich geistig-literarische Welten vom Orient bis zum Wilden Westen zu schaffen?

Brice: Vielleicht. Im Gefängnis hat er viel Zeit gehabt. Aber wissen Sie, Karl May war auch Journalist, und die schaffen es auch manchmal, sich eigene Welten zu schaffen ... Aber im Ernst, wenn jeder Schriftsteller erst ins Gefängnis müsste, um eigene Welten zu erschaffen, würden die Gefängnisse dieser Welt nicht ausreichen. Ich glaube, Karl May war ein Träumer, vielleicht hätte er seine Bücher auch geschrieben, wenn er nicht im Gefängnis gewesen wäre. Ich weiß es nicht.

Standard:  May versetzte sich mit der Zeit selbst in die Figur von Old Shatterhand. Verstehen Sie angesichts Ihrer eigenen Erfahrung, dass man sich dermaßen mit einer Romanfigur identifizieren kann?

Brice: Wie ich schon sagte, Karl May war ein Träumer. Ich bin Schauspieler, und es ist mein Beruf, mich in Figuren, in meine Rollen hineinzuversetzen. Ich kann mich mit gewissen Werten identifizieren, die Karl May Winnetou gegeben hat, aber privat trage ich kein Winnetou-Kostüm zu Hause.

Standard:  Aber die Rolle schien Ihnen wirklich auf den Leib zugeschnitten zu sein.

Brice: Ein Professor hat mir einmal geschrieben: Sie haben Winnetou nicht nur ein Gesicht, Sie haben ihm eine Seele gegeben. Das war ein sehr schönes Kompliment für mich. Aber anfangs, als mir die Rolle vorgeschlagen wurde und ich das Drehbuch las, war ich nicht begeistert von der Rolle. Meine damalige Freundin und meine Agentin hatten mich überredet, da sie von der Bedeutung Karl Mays in Deutschland wussten. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört. In meinem ersten Winnetou-Film hatte ich nicht viel Text, und ich habe mich bei Regisseur Harald Reinl beklagt. Aber Reinl sagte nur: "Du brauchst keinen Satz zu sprechen. Das ist wunderbar, was du machst. Genauso sehe ich die Figur, du darfst nichts ändern." Ich war skeptisch, doch der Erfolg des Films gab Reinl Recht, und erst da habe ich die Figur Winnetou richtig verstanden.

Standard:  Sie selbst hatten ein sehr bewegtes Leben - Krieg, Reisen, Kleinjobs, Filmkarriere. Frage an einen reifen Menschen: Wie wichtig sind die von May in Winnetou vertretenen Werte wie Freundschaft, Friede und Freiheit eigentlich im Alltag?

Brice: Diese Werte verschwinden heute leider immer mehr von dieser Welt, sie sind nicht mehr so en vogue wie damals, als Karl May seine Bücher schrieb und die Filme in den Kinos liefen. Aber trotzdem - und ist das nicht paradox? - glaube ich, dass sich die Menschen nach diesen Werten sehnen. Es gibt so viele kleine und große Karl-May-Spiele in Deutschland und in Österreich, die Filme laufen jedes Jahr im Fernsehen, der Erfolg ist immer noch enorm. Mit meinem Hilfskonvoi 1995 nach Bosnien habe ich diese Werte verteidigt - und sehr viele Menschen haben mir dabei geholfen, nicht nur Freunde, die mich begleitet haben, sondern auch diejenigen, die die zwei Millionen D-Mark gespendet haben, die mir, wenn sie von meiner Aktion wussten, Geld gegeben haben, ohne eine Quittung zu bekommen, weil sie Vertrauen in Winnetou und damit in mich hatten. Da habe ich erfahren, dass Werte wie Friede, Freiheit, Menschenwürde, Toleranz und Respekt immer noch da sind.

Standard:  Sie hatten, im Unterschied zu May, Kontakt mit Indianern. Was hat "Winnetou" dabei entdeckt?

Brice: Gut, wir wissen alle, dass die Winnetou-Filme recht naiv waren. Aber nach dem Krieg hatten sich die Menschen danach gesehnt. Es war nicht das wirkliche Leben der Indianer. Ende der 70erJahre hatte ich die Fernsehserie Mein Freund Winnetou gedreht, in der ich die wirkliche Welt der Indianer zeigen wollte, um die Zuschauer für dieses Thema zu sensibilisieren. Und auch in meinen Stücken in Bad Segeberg habe ich dies gemacht. Dort sind die Winnebago-Indianer zu mir gekommen, sie konnten es nicht glauben, dass sich ein Franzose in Deutschland so sehr für ihr Volk einsetzt. Sie nahmen mich als Ehrenmitglied in ihren Stamm auf und gaben mir den Namen We-Pumma-Ka-Da-Ga, Rainbow-Man. Und noch in diesem Jahr werde ich an einem Projekt arbeiten, um den Menschen das Leben der Indianer heute vorzustellen.

Standard:  Sind Sie im Nachhinein nicht froh, dass Winnetou nach drei Folgen das Zeitliche segnete?

Brice: Es waren ja nicht nur die drei Folgen der Trilogie, es waren elf Kinofilme. Dazu kommen weit über tausend Auftritte als Winnetou im Theater. Es war meine Entscheidung, Winnetou zu spielen, warum sollte ich da froh sein, dass er starb? Aber es gibt eine Anekdote von den Dreharbeiten: Die Bravo und andere Zeitungen hatten berichtet, dass wir den dritten Teil drehten, in dem Winnetou stirbt. Wir hatten die Szene bereits abgedreht, als Horst Wendlandt voller Sorge nach Jugoslawien kam, weil das Publikum drohte, den Film zu boykottieren. Ich fragte: "Aber Horst, was sollen wir machen, ich bin schon tot?" Und Wendlandt sagte, dass wir direkt im Anschluss einen neuen Film drehen. Wenn das Publikum das erführe, würde es den Film nicht boykottieren. Und so kam es dann ja auch. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.3.2012)