Am Sonntag lagen brisante Psychotherapie-Akten in den MA-48-Containern in der Wiener Lustkandlgasse. Der verantwortliche Verein hat keine professionelle Entsorgungsfirma unter Vertrag.

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Wien - Wer vergangenes Wochenende in der Lustkandlgasse 23 in Wien-Alsergrund sein Altpapier in den dafür vorgesehenen Containern der MA 48 entsorgen wollte, musste von diesem Vorsatz lassen. Rund 40 prallgefüllte rote Bene-Aktenordner nahmen in den aufklappbaren Plastikbehältern fast den ganzen Platz ein.

Wer einen solchen Ordner dann zur Hand nahm und darin blätterte, stieß auf höchst Brisantes: Auf alphabetisch geordnete Original-Honorarnoten von Wiener Psychotherapeuten und -therapeutinnen zur Abrechnung der Psychotherapie auf Krankenschein in den Jahren 2003, 2004 und 2005 - insgesamt mehrere Tausend Stück. Mehrere Aktenordner liegen dem Standard vor. 

Namen und Krankheitsbilder inklusive

Neben der Bankverbindung des Behandlers weist jede Honorarnote den ausgeschrieben Namen des jeweiligen Patienten auf, dessen Sozialversicherungsnummer und die Diagnose. Diese ist meist in Ziffern verklausuliert, nach dem internationalen Verzeichnis der Krankheiten, ICD-10 - das aber etwa im Internet frei zugänglich ist.

Manchmal ist das Krankheitsbild zusätzlich aber auch in voller Länge vermerkt: "Herr X. X., Kleptomanie, ICD-10: F 63.2" oder "Frau N. N., Anorexia nervosa (Anm.: Magersucht), ICD-10: F 50.1" steht dann da. Weggeworfen, sodass jeder Vorbeikommende sie mitnehmen konnte, wurden die Rechnungsunterlagen mit den höchst sensiblen Informationen von dem im Erdgeschoß des Hauses ansässigen Verein: Von der Wiener Gesellschaft für psychotherapeutische Versorgung (WGPV), einer jener beiden Organisationen, die in der Bundeshauptstadt die Vergabe und die Abrechnung der Stundenkontingente für Psychotherapie auf Krankenkassenkosten innehaben.

"Es war unsere Putzfrau"

Freitagabend seien die roten Ordner bereits im Müll gelegen, dann das gesamte Wochenende über und auch am Montag noch, schildert ein Anrainer auf Nachfrage. WGPV-Vorstand Heinz Laubreuter bestätigt das - nur: " Das war unsere Putzfrau. Sie hat einen Fehler gemacht", sagt er. Die Reinigungskraft habe das Aufstapeln von Ordnern in den Büroräumlichkeiten als Auftrag missverstanden, die umfangreichen Unterlagen zu den Containern zu schleppen.

"So etwas darf nicht passieren. Es ist uns zum ersten Mal passiert", beteuert Laubreuter. "Das stimmt nicht. Schon vor Jahren lagen derartige Honorarnoten im Müll. Damals jedoch lose", widerspricht besagter Anrainer.

Datenschutz "grob verletzt"

Auf alle Fälle seien hier die Sicherheitsbestimmungen laut Datenschutzgesetz "grob verletzt worden", erläutert der Datenschutzexperte Hans G. Zeger. "Derartige Unterlagen müssen so vernichtet werden, dass kein Dritter Einsicht bekommt", etwa im Reißwolf oder durch eine darauf spezialisierte Firma. Eine solche hat der WGPV laut Laubreuter jedoch nicht unter Vertrag.

Werde ein Expatient infolge der Indiskretionen geschädigt, stehe ihm bei Klageerhebung Schadenersatz zu, sagt Zeger, während Richard Rogenhofer, Jurist beim Bundesverband für Psychotherapie von einer "Verletzung der psychotherapeutischen Verschwiegenheitspflicht" spricht: "Jeder, der davon weiß, kann das im Grunde anzeigen." (Irene Brickner, DER STANDARD-Printausgabe, 6.3.2012)