Eine lebhafte Debatte in den Medien war die Folge, und auch die Literaturarchive, die aus verständlichen Motiven die Preisbildung mit Sorge beobachteten, fürchteten für ihre Zukunft, denn die im Falle Kafkas genannte Summe kann kaum ein Literaturarchiv aus seinem regulären Budget bestreiten. Dass der Fall Kafka zudem auch die Preise anderer Objekte anheben könnte, ist eine gewiss nicht grundlose Befürchtung. Nicht um Hugo Wetscherek zurechtzuweisen, sondern um über die Motive für diesen so hohen Preis Klarheit zu bekommen, wurde der junge Antiquar eingeladen, der - und darin stimmten alle Anwesenden überein - auf die regulierende Kraft des Marktes verwies. Doch zeigt sich dieser vom Angebot Wetschereks kaum beeindruckt, und die potenziellen Käufer dürften sich bei Inlibris nicht nachgerade die Klinke in die Hand drücken. Überhaupt scheinen sich in diesen Größenordnungen bei literarischen Manuskripten die privaten Sammler zu verflüchtigen, und es war leider schier unmöglich, einen solchen auch als Diskussionsteilnehmer zu gewinnen: Wo gibt es diesen Typ in Österreich?
Bleibt also die so genannte "öffentliche Hand", die da in die Pflicht genommen wird. Zu fragen wäre freilich, wie "öffentlich" sich diese Hand nach der Privatisierung der Österreichischen Nationalbibliothek noch fühlen darf. So hatte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach im Jahre 1987 das Manuskript von Kafkas Prozeß für einen Betrag von umgerechnet 1,5 Millionen Euro erworben, ein spektakulärer Ankauf, der durch die Weltpresse ging. Mit gutem Grund hob Jochen Meyer in der Debatte hervor, dass es sich hier nicht bloß um den Erwerb einer Trophäe handelte, sondern dass gerade diesem Manuskript ein wissenschaftlich hoher Aussagewert zukommt. Zu denken gibt aber auch die Tatsache, dass die vergleichsweise wenigen Dokumente aus dem Klopstock-Nachlass einen Preis erzielen sollten, der nicht viel unter dem für den Prozeß liegt, ein ausreichender Grund auch für Meyer, Wetschereks Preisvorstellungen als unangemessen zu bezeichnen. Bleibt die Frage, ob es sich bei diesen Angeboten von Inlibris um Einzelfälle handelt, denn sonst funktioniert, wie die Diskussion auch mit Georg Fritsch zeigte, das Gespräch der Literaturarchive mit den Antiquaren gut, denn beide sind aufeinander angewiesen.
Bleibt auch die Frage, ob sich in der Tat ein Markt für so hohe Angebote auftut, oder ob die Literaturarchive zur Passivität verurteilt würden. Besonders in Österreich würde die Lage prekär werden: Denn hier zu Lande gibt es im Vergleich zu den USA oder auch zu Deutschland kaum Sponsoren, denen der Ankauf literarischer Zeugnisse eine Herzenssache wäre - ein Bruchteil dessen, was in den Fußball investiert wird, könnte hier eine radikale Besserung der Lage schaffen. Wer aber überzeugt Stronach von der Bedeutung eines Günther Anders oder Konrad Bayer? Bedenkenswert ist auch die Tatsache, dass in der Regierungserklärung von 2000 die Schaffung eines Fonds angeregt wurde, der der Sicherung des kulturellen Erbes zu dienen habe - eine Absichtserklärung, die 2002 fehlt. Absicht?
Geld und Literatur scheinen kaum kompatibel, aber Nachlassverwaltern und Antiquaren wird das kaum zum Problem, und so müssen sich auch die Archivare dem Realitätsprinzip beugen. Dass es übrigens auch Großzügigkeit von Seiten der Erben gibt, zeigte sich bei Ingeborg Bachmann, deren Nachlass der österreichischen Nationalbibliothek für einen im Vergleich zur Bedeutung der Autorin kaum nennenswerten Betrag überlassen wurde, oder bei Thomas Bernhard, dessen Nachlass der Forschung vom Bruder des Autors zur Verfügung gestellt wurde. Doch solche Beispiele bleiben die Ausnahme, und die Archivare sollten sich im akademischen Eigendünkel für den Marktplatz nicht zu gut sein und - im Doppelsinne - zu handeln wissen. Dass sich die Institutionen nun auch um die so genannten Vorlässe zu Lebzeiten der AutorInnen bemühen, weist in diese Richtung, auch wenn dadurch eine Fülle neuer Probleme entsteht, die weit über die Problematik der Bewertung des jeweiligenOeuvres hinausreicht.