Bräutlich geschmückt . . .: Auch bei Diktatorenhochzeiten im Führerbunker wird die Etikette gewahrt

Foto: Mangafas

Mit begeistertem Gelächter wurde Neville Tranters Handpuppenversuch über Hitlers Ende im Führerbunker quittiert: "Schicklgruber alias Adolf Hitler", eine Festwochen-Koproduktion des Schauspielhauses mit dem "Stuffed Puppet Theatre", lehrt aber Skepsis.

Wien – Die schmuckloseste, auch würdeloseste aller Götterdämmerungen ereignete sich in den Apriltagen des Kriegsjahres 1945 unter Tonnen von Erdreich im Garten der Berliner Reichskanzlei.

Der vermeintlich größte Feldherr aller Zeiten, ein weltgeschichtlich abgewirtschaftetes Wrack als greiser Genozidverbrecher, saß als nationalsozialistischer Maulwurf im Bunker, las die Sterne, tobte und brüllte herum, stampfte aus dem Papier seiner Generalstabskarten nicht existente Heeresgruppen, verglich sein Schicksal mit dem des preußischen Fritz, ehe er daran ging, nach seiner Art den Nachlass zu regeln.

Im Wiener Schauspielhaus ärgert er noch einen korpulenten, verschmitzt demütig dreinblickenden Kammerdiener (Neville Tranter) in Knobelbechern namens Linge – was aber nicht mehr so stark ins Gewicht fällt.

Hitler sprach den Deutschen bekanntlich jegliche Befähigung zur Durchsetzung seiner verbrecherischen Mission ab. Er heiratete Fräulein Braun, seine Konkubine. Dann schoss er sich in den Kopf, während er gleichzeitig eine Giftampulle zerbiss.

Im Wiener Schauspielhaus, wo der australische Handpuppenspieler Neville Tranter in Schicklgruber alias Adolf Hitler den Nazipuppenspieler gibt, wird die unsäglich trübe Suppe dieses Weltuntergangs mit dem Witzbesen auch noch schaumig gerührt. Die angeklebten Troddeln des Führerscheitels fliegen hoch, wenn der Gröfaz seiner Braut – eine bräutliche Eva Braun mit rot aufklaffendem Mund – das Stillschweigen anschafft: "Lass mich allein, im Namen des Friedens!" Das Holz belebt sich, Holz bewegt sich.

Das triviale Weib gibt keinen Frieden – dieser Pointe muss man nachschmecken. Wenn Goebbels und Braun über ihre (verheimlichte) Nikotinsucht schwatzen, die Schweinskopfmaske von Reichsmarschall Göring auf einem verhängten Kleiderbaum hereingefahren wird, ist das Schenkelschlagen zentralamtlich: Kinder, was haben wir gelacht, als die Mörderclique in die Hölle fuhr!

Der grässlichste Übermut kitzelt alle verfügbaren Ironiemuskeln, zumal sich Tranter eines deutsch-englischen Kauderwelschs befleißigt, das dem doch arg gemütvollen Irrwitz dieser Kleinstkunstsequenzen die Giftzähne zieht: "Mein Führer, you are still superwitzig!" Aber ja doch.
Ehe nun ein gelbflaumiger Totenvogel dem Gröfaz die Leviten liest und Mister Tranter die Lebenslichtkerze auf der Geburtstagsschmocktorte ausbläst, wohnt man noch der Levitation eines Halbdutzends von Goebbels-Kindern bei: Helga, Hilde, Helmut, Holde, Hedda – und das sechste (Heide) liegt schon zu Lebzeiten im Gedächtnisloch ("Äh, äh . . .") des keckernden, meckernden Propagandaministers begraben.

Der kleine Helmut aber, ein äußerst sensibler HJ-Junge mit dem Holzgesicht eines Murmeltiers, hätte gewiss ein besseres Schicksal verdient gehabt, als vergiftet zu werden. Der Albtraum von der Sesam-Straße lässt daran denken, wie sich auch noch die ungustiösen Kapitel der Zeitgeschichte als knackiges Popcorn für freie Konsumgeister kulturindustriell rückstandslos aufbereiten lassen. Natürlich in tadellos "kritischer" Haltung, wie es sich für den international vernetzten Off-Betrieb gehört.
Ein Wort noch zur "wundervollen Lebendigkeit" von Handpuppen: Gesichtslähmungen mögen zwar zum traurigen Alltag erlauchter Holzdarsteller gehören. Ein Gewinn sind sie nicht. (DER STANDARD, Printausgabe vom 16.6.2003)