Arash T. Riahi zeigt in "Nerven Bruch Zusammen" Bewohnerinnen eines Frauenhauses.

Foto: Golden Girls FP

Graz - Starre Gattungen waren im österreichischen Kino nie beliebt. Der Wechsel zwischen den Genres und der Austausch unterschiedlicher Herangehensweisen ist eine der Qualitäten dieses kleinen Filmlandes.

Auf der Grazer Diagonale kann man heuer beobachten, dass Multitasking von Filmemachern ein neues Ausmaß erreicht hat. Der Wechsel zwischen dokumentarischen, experimentellen und fiktionalen Strategien hat auch ökonomische Gründe: Er ermöglicht kontinuierliches Arbeiten.

Sebastian Meise hat mit Stillleben und Outing zwei Filme gemacht, die sich inhaltlich nahestehen. Von Auswirkungen eines familiären Geheimnisses erzählt der Spielfilm: Als die sexuellen Neigungen eines Vaters gegenüber der Tochter ans Licht treten, muss sich in Stillleben jeder Teil des Familienverbands mit der eigenen Rolle neu konfrontieren. Noch brisanter löst das Thema Pädosexualität der Dokumentarfilm auf: Da gewährt ein Betroffener mit verblüffender Offenheit Einblick in sein getriebenes Innenleben. Das Outing, das Sprechen über den Kampf mit dieser gesellschaftlich geächteten Form fehlgeleiteten Begehrens, verfolgt hier immer den Zweck der Selbstkontrolle. Die Spannung des Films entsteht, weil Meise und sein Koregisseur Thomas Reider die Grenzen des Darstellbaren beständig nachjustieren müssen.

Vom Spielfilm (Ein Augenblick Freiheit) zurück zum Dokumentarfilm wechselte Arash T. Riahi. Nerven Bruch Zusammen ist ein schöner Beleg für die Beständigkeit eines Werks, egal welche Form es annimmt. Die Qualität, sich seiner Protagonisten mit Großzügigkeit anzunehmen, ohne ihnen Freiheit zu rauben, findet sich in diesem Film über die Bewohnerinnen eines Wiener Frauenhauses in besonderem Maße. Die ältesten Aufnahmen stammen von 2000, als Riahi dort Zivildienst geleistet hat. Nun nimmt er sich Frauen von damals sowie Nachfolgerinnen an. Man begegnet Menschen in Not und Verzweiflung, aber auch mit Kampfgeist. Zugleich offenbaren sich Muster, die einen größeren Zusammenhang dieser geschlechterspezifischen Lebenssituationen erkennen lassen.

Gefangenes Krokodil

Auch Houchang Allahyari, der zuletzt zwei Filme über die Flüchtlingsbetreuerin Ute Bock koinszenierte, stellt in Graz einen ungewöhnlichen neuen Film vor. Ein Fundstück, auf das Allahyari und Koregisseur Maziyar Moshtag Gohary während eines anderen Projekts stießen.

Das persische Krokodil lautet der Titel, und ein solches steht im Mittelpunkt dieses klassisch beobachtenden Einstünders, in dem man Zeuge eines gefährlichen Geduldspiels im Südiran wird.

Nach starkem Regen sitzt ein Krokodil in einem Wasserauffangbecken fest. Männer versuchen, das Tier zu befreien, ohne verletzt zu werden. Daraus entwickelt sich ein hochspannendes und komischen Filmsujet.

Während Allahyari reales Geschehen dokumentiert und verdichtet und der Dokumentarfilm heuer überhaupt das Programm dominiert, hat die Filmkünstlerin Mara Mattuschka, unterstützt von Reinhard Jud, mit QVID TVM einen Spielfilm gedreht, der von einem herkömmlichen Vertreter dieser Gattung denkbar weit entfernt ist.

Ein abgewohntes Haus wird Bühne für eine Reihe von Figuren, die unterdrückte wie gelebte Leidenschaften miteinander verbinden. Es geht um Kunst, Liebe und Tod, aber während man hinsichtlich des größeren Ganzen beim Zusehen schnell den Faden verliert, stößt man auf berückend schöne Szenen, auf musikalische Miniaturen und visuelle Ideen, die man in einem Dutzend konventioneller Kinofilme nicht finden würde. Auch für diese Art von Abgleich ist die Diagonale gut. (Dominik Kamalzadeh/Isabella Reicher, DER STANDARD, 23.3.2012)