Cover: Unerzogen

Viele Erziehungsratgeber lassen Eltern, die sich als politische Menschen begreifen, ratlos zurück. Das liegt daran, dass ihre Theorien über Entwicklung und Bedürfnisse von Kindern meist streng individualistisch formuliert und nicht rückgebunden werden auf ein vorhandenes oder auch erwünschtes Gesellschaftsbild. Dass die Ausbildung des Individuums und die Gesellschaft, in der es lebt, unmittelbar in Zusammenhang stehen, wird in diesen Büchern meist verschwiegen.

Neulich bin ich auf eine Publikation gestoßen, die diesen Anspruch endlich zu erfüllen scheint. Bei "unerzogen" handelt es sich um eine vierteljährlich erscheinende Publikation, die sich mit gleichberechtigten Eltern-Kind-Beziehungen und "freier Bildung" beschäftigt. Das Angenehme daran: Sie kommt nicht so lifestylig und illu-mäßig daher wie "Nido" oder auch "Mom", sondern setzt auf ausführliche Artikel, die von Leuten vom Fach oder wechselweise auch von informierten Eltern geschrieben werden. Somit vereint die Zeitschrift ExpertInnenpositionen mit subjektiven Sichtweisen.

Die Ausgaben haben jeweils ein Überthema wie "Pubertät" oder "informelles Lernen", die aktuelle beschäftigt sich mit Geschlechterstereotypen in Erziehung und Gesellschaft. Darin erfährt mensch zum Beispiel, dass längst die Wirtschaft bzw. der Kommerz der Motor für Geschlechterdifferenz geworden ist, während die Politik sich mehr und mehr dafür einsetzt, Geschlechternormen aufzubrechen. Es findet sich darin auch ein lesenswertes Interview mit den kanadischen Eltern von "Storm". Ihre Entscheidung, das biologische Geschlecht ihrer Kinder nicht preiszugeben, hat letztes Jahr ja weltweit für Aufruhr gesorgt.

Das Info-Paket runden Kolumnen, Rezensionen zu Kinderbüchern, Erfahrungsberichte und Hintergrundtexte zum Beispiel über die Geschichte der Reformpädagogik in Deutschland ab. Somit füllt "unerzogen" eine Lücke im Regal der Elternlektüre und gibt Einblicke in Erziehungsdebatten, die es wert sind, zumindest durchdacht zu werden. (dieMama, 23.3.2012)