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Eine Berührung des Artgenossen mit der Schnauze genügt, um Ratten, die Kokaininjektionen erhielten, für soziale Kontakte zu interessieren.

Foto: AP/Andre Penner

Ein Beweis dafür, dass Körpertherapien bei Suchtproblemen helfen können. 

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Ein Fluch der Drogenabhängigkeit ist: Im Verlauf der Krankheit wird der Drogenkonsum für die Betroffenen zur einzigen Möglichkeit, sich positive Empfindungen oder Freude am Leben zu verschaffen. Die Abhängigen verlieren Sozialkontakte, weil sie an ihrer Umwelt kaum Anteil nehmen. Und wenn es dennoch Freundschaften gibt, dann stehen diese gewöhnlich wieder im Zeichen von Drogen, wie zahlreiche Studien belegen. Kaum untersucht wurde bisher, wie sich Sozialkontakte auf das Suchtverhalten auswirken, wenn sie als Alternative dazu angeboten werden, obwohl man weiß, dass das es in Selbsthilfegruppen und anderen therapeutischen Einrichtungen sehr gute Erfolge gibt.

Mit positiver sozialer Interaktion am Beispiel von Ratten befasst sich die Biologin Rana El Rawas, Mitglied der Suchtforschungsgruppe von Gerald Zernig und Alois Saria an der Abteilung für Experimentelle Psychiatrie der Medizinischen Universität Innsbruck. Wie Menschen sind auch Ratten soziale Wesen, deren Wohlbefinden durch das Zusammensein mit angenehmen Artgenossen deutlich gesteigert wird. Wie El Rawas und ihre Kollegen in diesem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt zeigen konnten, kann es sogar den Hunger auf Drogen hintanhalten.

Die Forscher wendeten eine Test-Methode an, die sich Konditionierte Platz-Präferenz (CPP, Conditioned Place Preference) nennt: Dazu wurde ein dreiteiliger Versuchskäfig benützt, in dem es eine mittlere, neutrale Kammer gibt und zwei angeschlossene Konditionierungskammern, die unterschiedlich gemusterte Wände und sich unterschiedlich anfühlende Böden haben.

In eine dieser beiden Kammern werden die Ratten im Anschluss an eine Kokain-Injektion gesetzt, in die andere nach der Injektion mit einer wirkungslosen Salzlösung. Auf diesem Weg lernen die Tiere, je eine bestimmte Kammer mit der Droge zu assoziieren.

Eine handfeste Vorliebe

Nach nur vier Kokainspritzen zeigten die Ratten, wenn sie sich in allen Teilen des Käfigs frei bewegen konnten, eine handfeste Vorliebe für die Kammer, in der sie das Kokain erhielten. Womit die eigentliche Untersuchung begann: Von jetzt an erhielt ein Teil der Tiere in beiden Kammern nur noch Salzlösung, eine zweite Gruppe machte ebenfalls einen Entzug, erhielt aber gleichzeitig in der vorher drogenfreien Kammer die Möglichkeit, 15 Minuten mit einem gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Artgenossen zu verbringen, und eine dritte erhielt nach wie vor in der einen Abteilung Kokain, aber in der anderen die Gelegenheit zu sozialen Interaktionen. Danach wurde getestet, welche Kammer sie bevorzugen.

Die Ergebnisse waren ebenso verblüffend wie ermutigend: Bei den Ratten auf Entzug genügten vier Episoden von Sozialkontakt, um die entsprechende Kammer für sie attraktiver zu machen als die, in der sie ursprünglich Kokain erhalten hatten.

Aber auch die Tiere, die die Droge weiterhin erhielten, zogen nach nur vier Sessions die Gesellschaft des Artgenossen dem Kokain vor. Und vielleicht noch wichtiger: Ratten, die auf Entzug gesetzt worden waren und danach noch einmal Kokain bekamen, behielten ihre Vorliebe für die "soziale Kammer" bei. Gleichzeitig mit den Verhaltensmustern änderten sich dabei auch die Hirnaktivierungsmuster: Jene Hirnzentren, die während der Erinnerung an den Kokaineffekt bei den Ratten aktiviert wurden, beruhigten sich durch die soziale Interaktion wieder.

Zwei Gegenspieler auf einer Wippe

Gerald Zernig erläutert die Zusammenhänge mit einem Bild: "Die Schale und der Kern des Nucleus accumbens sind zwei unmittelbar benachbarte Hirnregionen, die die Vorliebe für soziale Interaktion beziehungsweise Kokain wie zwei Gegenspieler auf einer Wippe vermitteln. Durch gezielte Inaktivierung der Schale wird die Balance in Richtung Kokain verschoben, bei Inaktivierung des Kerns in Richtung sozialer Interaktion.

"In weiteren Experimenten wollten die Forscher schließlich herausfinden, welcher Aspekt des Sozialkontaktes am wichtigsten ist, und stellten der Annäherung der Tiere verschiedene Hindernisse in den Weg. Wie sich dabei herausstellte, ist es vor allem Körperkontakt, der für die Ratten den Wert einer Begegnung ausmacht: Selbst wenn sie einander nur durch Trennstäbe hindurch mit Schnauzen, Vorderpfoten und Schwänzen berühren konnten, blieben die positiven Effekte des Sozialkontakts erhalten, wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei "Vollkontakt". Keine positive Wirkung erzeugten hingegen Partnerratten, die deutlich größer und schwerer waren als das ursprüngliche Versuchstier.

Zu kleine Kammer

Auch der zur Verfügung stehende Raum spielte eine deutliche Rolle: Wurde die Kammer mit dem Artgenossen auf die Hälfte verkleinert, fanden die Tiere die soziale Interaktion weit weniger attraktiv, als wenn sie mehr persönlichen Freiraum hatten. Zernig, der auch Psychotherapeut ist, sieht diese Erkenntnisse als unmittelbar in die therapeutische Arbeit übersetzbar: "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass körperzentrierte Psychotherapien besonders für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen und gestörtem Sozialverhalten geeignet sind."

Die Wechselwirkungen zwischen Kokain, sozialen Interaktionen und verschiedenen Genen bzw. Genprodukten untersuchen El Rawas und Ahmad Salti in einem eben angelaufenen, vom Wissenschaftsfonds finanzierten Projekt. Die Ergebnisse sollen die Entwicklung neuer Medikamente ermöglichen.

Der Bedarf dafür ist gegeben: Mehr als 25.000 Drogenabhängige leben laut Statistiken des Gesundheitsministerium allein in Österreich. 170 starben im Jahr 2010 daran. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 28.3.2012)

=>Wissen: Zwischen Sucht und Zwangsstörung

Wissen: Zwischen Sucht und Zwangsstörung

Bei der umgangssprachlichen Sucht unterscheiden Medizin und Psychologie zwischen Abhängigkeitssyndrom, wenn es sich um eine Abhängigkeit von bestimmten Substanzen (zum Beispiel Alkohol oder Kokain) handelt, bzw. "Impulskontrollstörung" oder Zwangsstörung, wenn die Abhängigkeit nicht an Substanzen gebunden ist (z. B. Kauf- oder Spielsucht).

Laut dem Wiener Anton-Proksch-Institut sind in Österreich rund 330.000 Personen alkoholabhängig, ca. 1,3 bis 1,6 Millionen nikotinabhängig, 110.000 bis 130.000 medikamentenabhängig und 20.000 bis 30.000 abhängig von illegalen Drogen.

Bei den nichtsubstanzgebundenen Abhängigkeiten herrschen folgende Verhältnisse: 40.000 bis 60.000 Personen leiden an Spielsucht (etwa Automaten- oder Glücksspiel), geschätzte 60.000 sind vom Internet abhängig bzw. stark gefährdet, und rund 600.000 neigen zu gesteigertem bis exzessivem Konsumverhalten, im Volksmund auch als Kaufsucht bezeichnet. (strn)