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Emily Post (1872 - 1960), Symbol einer "besseren Gesellschaft".

Foto: AP/Alden Pellett

Frauen, die schwanger sind, "strahlen". Das ist nichts Radioaktives, sondern das Glücksempfinden aufgrund des bevorstehenden Nachwuchses, heißt es. Damit das Strahlen nicht durch Übelkeit oder andere Probleme erlischt, empfiehlt sich im Umgang mit modernen werdenden Müttern auch heutzutage Anstand und Sitte, empfiehlt zumindest die auferstandene Emily Post. Die ist für US-AmerikanerInnen, was den Deutschen Knigge. In den früheren Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts hat sie sich in das gesellschaftliche Verhalten Übersee derart eingeschrieben, dass ihr Name noch heute synonym für Benimm steht.   

Ihre NachfahrInnen beratschlagen in einschlägigen Sachlagen - wie Tisch- und Geschäftsettikette oder Hochzeitsarrangements - munter weiter, seitdem sie im Herbst letzten Jahres eine siebenjährige Anstandspause mit der 18. Ausgabe des "Emily Post's Etiquette"-Nachschlagewerks beendet haben. Auf Tipps für Schwangere sowie deren Umfeld haben die Post-UrurenkelInnen zwecks "Strahlen"-Konservierung nicht vergessen.

Schweigen ist Gold

Es wäre klug, schreibt die Sprecherin des 1946 von der Etikette-Päpstin gegründeten "Emily Post Institute" Anna Post, die freudige Nachricht einer Schwangerschaft erst im ersten Trisemester bekannt zu geben. Manche Frauen würden dazu den Rahmen einer Familienfeier nutzen. Gehört mensch zu den ErstadressatInnen, empfehle sich die Nachfrage, ob die Neuigkeit denn weitergetragen werden darf. Seit "Facebook" sei die Sache aber kniffliger: Um zu vermeiden, dass überschwenglich-unbedachte Glückwünsche auf der Wall gepostet werden, sollte mensch diese Möglichkeit besser ausschalten. Und: "Falls Sie meinen, jemand sei schwanger, etwa wegen ihres extra Strahlens oder weil sie ein Glas Wein ablehnt, zeigen Sie Respekt, indem Sie ihr zugestehen, es Ihnen selbst zu sagen, wenn sie so weit ist. Wenn sie die Neuigkeit dann preisgibt, ist es in Ordnung, von Ihrer früheren Vermutung zu erzählen."

Sie darf Nein sagen

Mehr Gustostücke "moderner Etikette" finden sich im Abriss zum Verhalten, wenn ein Babybauch ins Spiel kommt: "Bitte nie ungefragt streicheln", lautet das Fazit, das für alle, ob schwanger oder nicht, gelte. Für die Babybauch-Trägerin hieße das: Wenn sie nicht will, dass an ihr herumgegrabbelt wird, darf sie das auch sagen. Das sei nicht unhöflich, auch nicht in Begleitung einer zurückweichenden Bewegung wie dem Schritt zurück.

Ebenfalls für wert befunden, in der Ausgabe aufgeschrieben zu werden: Das "Missgeschick", einer Frau zu gratulieren, die gar nicht schwanger ist. "Seien Sie sich ganz sicher, dass eine Frau schwanger ist, bevor Sie Schlüsse ziehen und fragen, wann es so weit ist. Wenn sie sagt, 'Ich bin nicht schwanger', gibt es keinen würdevolleren Ausweg als zu sagen 'Ich bitte um Entschuldigung' und dann das Thema zu wechseln."

Wer schäbig ist

Überhaupt scheint das eine gangbare Post-Strategie bei als heikel und unpassend, vor allem in Gegenwart von Frauen, definierten Situationen zu sein. Ein solches Benimm-Korsett, gemacht aus "Bitte nicht angreifen" und "Bitte nicht ansprechen", verweist alle Beteiligten jedweden Geschlechts auf ihre Plätze, engt aber besonders Frauen als zerbrechlichere Gemüter auf Schablonen aus dem 19. Jahrhundert ein. Überholte Sittlichkeits- und Überheblichkeitsvorstellungen einer "besseren" Gesellschafts- respektive LeserInnenschicht, die ihre Freude an der Neuausgabe hat, werden ebenfalls offensichtlich: "Nur die schäbigsten Leute bieten einer Schwangeren keinen Sitzplatz (in öffentlichen Verkehrsmitteln, Anm.) an." "Moderne Etikette" scheint ein Paradoxon zu sein. (red, dieStandard.at, 28.3.2012)