Stefan Ender

Wien - Diva ist: wenn der Auftrittsapplaus größer und freudvoller ist als bei normal sterblichen Künstlerkollegen der am Ende. Diva ist: wenn die Fertigung des Kleides vermutlich ganze Textilindustriezweige in Brot und Arbeit gehalten hat. Diva ist: wenn der grimmige Gesichtsausdruck zum Ende eines Liedes auch noch während zehn Sekunden heftigsten Applauses beibehalten wird.

Diva ist schließlich, wenn die Herren Generaldirektoren, Parteivorsitzenden und Ballorganisatoren am Ende selig Amazing Grace summen, und die Sache trotzdem eine völlig unpeinliche ist. Jessye Norman war also wieder in Wien, und es war wunderschön. Norman sang sich bei Haydns Arianna a Naxos probehalber in Rage und berückte dann mit den Rückert-Liedern.

Würde man mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen, darüber Kritisches anzumerken, man könnte erwähnen, dass bei seltenen Wendungen der Glanz ihrer Stimme doch etwas ermattet schien, dass über dem zweigestrichenen fis die letzte Kompaktheit flöten ging, dass der Vibratoumfang fallweise eine leichte Diät vertragen könnte und dass ihre Interpretation zuweilen überdurchschnittlich stark dem Exaltierten huldigte.

Wiederholte man die bedrohliche Prozedur jedoch auch nach dem zweiten Teil ihres Programms, so wäre einem die Beförderung über den Styx gewiss, war dieser doch nichts weniger als makelloses Glück. Duftig, hell, und klar die vier ausgewählten Lieder Henri Duparcs; mit den Siete Canciones Populares Espanolas von Manuel de Falla läutete die Amerikanerin dann mit viel Freude den Showteil ein.

Mark Markham - Norman in musikalischer Gestaltung verbunden - schnulzte beim Haydn eine Spur zu sehr, machte dies aber mit der schönsten "Ich bin der Welt abhanden gekommen"-Einleitung der Welt wett. Insgesamt drückte er die Tasten des schön klingenden Steinway delikatest und produzierte so samtene Wunderwerke sonder Zahl. Musikfreunde-Chef Thomas Angyan küsste die Künstlerin nach Beendigung des Programms auf offener Bühne; sie bedankte sich mit fünf euphorisierten Zugaben.