Der deutsch-schweizerische Steuerstreit ist ein gutes Beispiel dafür, dass Recht und Gerechtigkeit oft nicht ident sind. Die Schweiz und Deutschland sind Rechtsstaaten. In einem solchen ist es Aufgabe der Justiz, jeder Straftat nachzugehen - und zwar unabhängig davon, wer der Verdächtige ist. Wenn also drei deutsche Steuerfahnder eine CD mit gestohlenen Kundendaten der Crédit Suisse kaufen, ist es rechtens, dass Bern gegen die Beamten Haftbefehl erlässt und ihre Auslieferung beantragt. Gerecht ist das Ganze nicht. Denn während die Schweiz ihr Bankgeheimnis schützt, fehlen in Deutschland und Österreich effektive Regeln, um die systematische Beihilfe der Schweizer Banken und Behörden zur Steuerflucht zu verfolgen. Bis zu 180 Milliarden Euro unversteuertes Vermögen aus Deutschland sollen in der Schweiz gebunkert sein, bis zu zwanzig Milliarden aus Österreich.

Diese Summen sind nicht zufällig über Nacht auf Schweizer Nummernkonten gelandet, sondern waren Teil einer jahrzehntelang gepflegten Wirtschaftspolitik, die die Schweiz zu einer der größten Steueroasen gemacht hat. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigte für das Schweizer Vorgehen Verständnis. Auf den ersten Blick verwunderlich. Der Kauf der Daten von Crédit Suisse brachte seinem Ministerium 900 Millionen Euro. Dass dieses Geld jahrelang der Allgemeinheit vorenthalten wurde und nicht zum Bau von Schulen, Kindergärten oder Pflegeheimen genutzt werden konnte, ist der eigentliche Skandal an der Affäre, den Schäuble hätte thematisieren können.

Doch letztlich konnte er nicht anders. Denn eine Frontalkritik hätte nur weiteres Porzellan zwischen den beiden Ländern zerschlagen. Deutschland verhandelt mit der Schweiz über ein Abkommen zur Begrenzung der Steuerflucht, was Schäuble nicht gefährden wollte. Sollten sich Berlin und Bern einigen, dürfte die im Windschatten segelnde österreichische Regierung einen ähnlichen Deal aushandeln. Solche Verträge haben zwar ihre Lücken - Steuersünder können sich mit einer einmaligen Abschlagzahlung von jeglicher Strafe freikaufen. Doch in Zeiten knapper Budgets ist der angepeilte Deal vermutlich das Beste, was herauszuholen ist. Ein Vertrag könnte zudem endlich für Rechtsfrieden zwischen den Ländern sorgen. Damit könnten sich Recht und Gerechtigkeit beim Thema Steuerhinterziehung doch noch annähern. (András Szigetvari, DER STANDARD, 3.4.2012)