Olivenhain Richtung Jerusalems Tempelberg. 

Foto: E.Lessing

Wien - "Nur ein überzeugter Atheist kann etwas vom Glauben verstehen. "Dieses klar ausformulierte Credo irritiert angesichts einer Ausstellung namens Der Weg nach Golgatha. Im Alter von 89 Jahren hat Erich Lessing, nach Beteiligungen an über 100 Ausstellungen und 60 Buchpublikationen, eine eigene Galerie eröffnet.

Die erste Ausstellung präsentiert aber, wider Erwarten, nicht nur Altbekanntes aus den Archiven des Doyens austriakischer Fotokunst, sondern startet mit einer metaphysischen Reflexion. Der Spur Jesu Christi folgend, reflektiert Lessing die überlieferte Liturgie der Passionsgeschichte anhand inszenierter Gegenüberstellungen: er fotografierte Ausgrabungsstätten, Kirchen, Gräber, Mosaiken, Insignien, Inschriften und kunsthistorisch relevante Darstellungen des Kreuzweges.

Der im Unruhestand Befindliche (be)suchte aufgrund biblischer und historischer Schilderungen Orte wie Jerusalem, Jericho, Palästina und Judäa. Mittels einer assoziativen Accrochage lädt Lessing zum Hinterfragen präjudizierender Standpunkte ein. Entgegen üblichen Usancen, das Thema des Glaubens in Kunst und Gesellschaft vom Alltag abzugrenzen, definiert er die prinzipielle Wertigkeit jüdisch-christlicher Wurzeln der abendländischen Kultur.

In seinen elegischen, oft erratischen Aufnahmen gelingt es Lessing, Ästhetik, Emotion und Ambiente, Stimmen und Stimmungen einzufangen. Hinter die Fassade blickend wird in der metaphysischen Beschäftigung auch die persönliche Vita des 1923 in Wien geborenen, 1939 vor den Nazis geflohenen Reporters spürbar.

Berühmt wurde der Doyen analoger Fotografie durch archaische Schwarz-Weiß-Reportagen aus der Nachkriegszeit, seine Serien vom Staatsvertrag, vor allem aber durch Perspektiven jenseits der Norm. Die Staaten des ehemaligen Ostblocks bereiste der seit 1951 für die Agentur Magnum tätige Chronist - Wegbegleiter von Cartier-Bresson, Capa et alii -, lange bevor sich jemand anderer dafür interessierte. Sein humanitärer Ansatz besorgte den philosophischen Überbau. Vintage-Prints von Politikern oder Künstlern wie Karajan und Qualtinger zählen zu Ikonen des kollektiven Gedächtnisses.

Seit Anfang der 1960er-Jahre hatte Lessing sich der Dokumentation von Kunst und Kultur zugewandt, hatte Museen und architektonische Meisterwerke besucht und in ihrer originären Form in Szene gesetzt. Viele der seinerzeit zugänglichen Orte und Objekte sind heute verschlossen, versunken oder existieren nicht mehr. Im Gegensatz zu den bekannten Arbeiten rein dokumentarischen Charakters soll subjektiv-assoziative Interpretation stattfinden. Quasi als kontemplativer Indikator des kognitiven Bewusstseins.

Eine elementare Sichtung des Seins, abseits politischen Kalküls, abseits konfessioneller Dogmen artifiziell konkurrierender Glaubenskongregationen. (Gregor Auenhammer, DER STANDARD, 4.4.2012)