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An Damien Hirst scheiden sich die Geister. Die Londoner Tate Modern widmet ihm eine Retrospektive, die sich vor allem im Museumsshop niederschlägt. 

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Damien Hirst ist ein reicher Mann. Die Konzeptkunst des 46-jährigen Briten war in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr teuer. Ein in Formaldehyd aufgehängter Hai ("The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living", 1991) sowie ein diamantenbesetzter Totenschädel ("For the Love of God", 2007) haben ihn weltberühmt gemacht.

Den Marktforschern von Art Market Research (AMR) zufolge wuchs der Preis für seine 25 teuersten Kunstwerke zwischen 2005 und 2008 um 400 Prozent. Es gibt Kritiker, die behaupten, Hirst gehe es schon lang nur noch ums Geld. "Geld ist wichtig", sagt der Unternehmer, "aber am Ende muss die Kunst wichtiger sein als das Geld, sonst würde ich sie nicht machen."

Derzeit verkauft sich ein echter Hirst mit einem Aufschlag von 50 Prozent gegenüber 2005. Auch das stellt einen erfreulichen Wertzuwachs dar, kann aber nicht mit dem Contemporary Art 100-Index konkurrieren. Demzufolge liegen die Werke von 100 populären modernen Künstlern um das Dreifache über ihrem Preis von damals.

Fundamentales Umdenken

Diese zumindest für Hirsts Bankkonto beunruhigende Entwicklung schlägt sich in der Reichenliste der Londoner "Sunday Times" nieder. Deren Erbsenzähler veranschlagten das Vermögen des Kunstunternehmers 2009 auf 282 Mio Euro. Im Jahr darauf war es um 24 Mio. Euro gesunken und stagnierte 2011 bei dieser Summe. Es habe, sagt AMR-Geschäftsführer Robin Duthy, "ein fundamentales Umdenken" gegeben. "Die Leute fragen sich, ob seine Kunst ernst gemeint ist."

Drastischer drückt dieses Unbehagen der Kunstkritiker Julian Spalding aus. Hirsts Kunst sei vergleichbar mit dem Giftmüll der Finanzmärkte, der 2008 zur globalen Krise führte. "Sie wären gut beraten, Ihren Hirst zu verkaufen, bevor er wertlos wird", schreibt Spalding in seinem neuen Buch "Con Art" - ein Wortspiel mit dem Begriff "con artist" (kurz für "confidence artist", d. h. "Betrüger"). Hirst tut die giftige Kritik ab. Spalding gehe es wohl mehr um den Verkauf eines Buchs als um Kunstverkauf. Von letzterer verstünde er allemal am meisten.

Zum Glück hat Hirst nicht nur Gegner, sondern auch einflussreiche Freunde. Zu diesen zählte der Werbekaufmann und Kunsthändler Charles Saatchi. Aber den Handel mit seiner Kunst und deren Vermarktung beherrscht Hirst inzwischen selbst am besten. Als Gönner geblieben ist ihm der Generaldirektor der staatlichen Tate-Museen, Nicholas Serota.

Dessen Londoner Kunstmuseum Tate Modern zählt im Jahresdurchschnitt 4,7 Millionen Besucher, im Olympia-Sommer 2012 dürften es noch ein paar mehr werden. Das liegt an der Lage des früheren Kohle-Kraftwerks auf einer bevorzugten Touristen-Route entlang der Themse, außerdem ist der Eintritt frei. Dafür kaufen die Besucher gern im Museums-Shop ein, wo es ab sofort exklusive Hirst-Souvenirs zu kaufen gibt. Ein Seidenschal mit Schmetterlings-Muster kostet 150 Euro, eine praktische PVC-Tasche 30 Euro.

Plastik-Totenschädel

Übrigens sind farbige Punkte das Markenzeichen großer Gemälde, die Hirst von seinen Mitarbeitern herstellen lässt. Wer sich stilvoll gegen englischen Aprilregen schützen will, kann einen Hirst-Schirm für 48 Euro erwerben. Exklusiv bekommen es Käufer eines in limitierter Auflage hergestellten, farbigen Plastik-Totenschädels (44.160 Euro). Das diamantenbesetzte Original lässt sich kostenlos in einem verdunkelten, kleinen Raum besichtigen. Dieser stört den Genuss der wunderbaren, 155 Meter langen und 35 Meter hohen früheren Turbinenhalle fast gar nicht.

Ausgesprochen empfehlenswert bleibt der Besuch des Tate-Restaurants im siebten Stock. Von dort geht der Blick über die Themse hinweg auf die Kuppel der Paulskathedrale, Christopher Wrens barockes Meisterwerk. Auf der anderen Seite sieht man die frisch gebauten Lofts im neuerdings schicken Viertel Southwark. Deren Betrachtung ist allemal interessanter als alles, was es im dritten Stock zu sehen gibt: eine Retrospektive von Hirsts Werk, zum Eintrittspreis von 16,80 Euro. Um das Bankkonto des Unternehmers muss man sich also auch weiterhin keine Sorgen machen. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 4.4.2012)