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Komplexe Systeme wie etwa das Betriebsklima lassen sich nicht wie Maschinen steuern.

"Führen und Management findet heute unter Bedingungen von Komplexität statt - ich behaupte sogar, am Rande des Chaos", sagt Klaus Mainzer. Der Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München und Direktor der Carl-von-Linde-Akademie wird das neunte Colloquium des Executive Club (Postgraduate Center, Universität Wien) leiten. Sein Thema: "Thinking in Complexity"."Wir entscheiden unter Bedingungen beschränkter Rationalität", zitiert Mainzer den Sozialwissenschafter Herbert Simon. Allerdings, so Mainzer weiter, sei das ein Faktum, das kein Chief Executive Officer gerne zugebe.

Er erklärt dieses Dilemma so: Alles in dieser globalisierten Welt hänge miteinander zusammen - Finanzmärkte, Wirtschaftsentwicklungen, Internet etc. - und all diese Faktoren auseinanderzuhalten werde zunehmend schwieriger. Gleichzeitig aber sei in den Köpfen der Verantwortlichen ein Kontrollmodell vorhanden, das im 19. Jahrhundert entstanden ist, nämlich dass alles kontrollierbar sei. In diesen "berechenbaren Systemen" allerdings habe man es nur mit zwei Faktoren zu tun. Mainzer vergleicht das mit dem Pendelschlag - Ursache und Wirkung verhalten sich proportional zueinander.

Nur diese Probleme seien nicht jene, mit denen man heute konfrontiert sei. Je mehr Faktoren, umso eher könne es zu Instabilitäten und Chaos kommen, so Mainzer. Dementsprechend brauche es Frühwarnsysteme, aber auch ein Training für Führungspersonal für komplexe Systeme. Die Frage sei: Was können wir machen, was nicht, so Mainzer weiter. Nun gut. Was also können Führungskräfte tun?"Zunächst die gute Nachricht", schickt er voraus. "Komplexe Systeme neigen nicht nur zur Instabilität und müssen nicht nur zu Chaos führen. Sie können auch Boden für Kreativität sein." Es gehe um Flexibilität und auch um Instabilität - zumindest lokal -, um Neues einführen zu können. Und zwar auch in Sachen Führungsstil. Das bzw. der Umgang mit Komplexität sei bis zu einem gewissen Grad erlernbar, so Mainzer weiter.

"Faktor Mensch"

Zunächst: Komplexe Systeme - wie etwa das Betriebsklima - seien einfach nicht wie klassische Maschinen zu steuern. "Man kann diese Systeme nie direkt, sondern immer nur indirekt steuern", sagt Mainzer. Dabei gelte es, eine Vielzahl von Neben- und Seitenbedingungen zu berücksichtigen, damit sich das System letztlich von selber in die richtige Richtung entwickle beziehungsweise die Richtung ändere, wie ein schwerer Tanker auf See, sagt er. Ähnlich verhalte es sich mit dem Führen komplexer Systeme - sie sind nie abrupt oder direkt von oben eingreifend zu steuern, sagt Mainzer.Es brauche also Sensibilität, sagt Mainzer, "jetzt bin ich beim Faktor Mensch".

Bezogen auf die "Mensch-Maschine-Schnittstelle", die sich deutlich verändert, so Mainzer weiter, "zeichnen uns unser Verstand und unsere Emotionalität respektive Intuition aus", sagt er. Denn nur das Wenigste werde bewusst entschieden, "sonst würde der Verstand durchbrennen". Vieles laufe in Routinen ab, das Vertrauen in bestimmte Abläufe sei ebenso vorhanden. Das Feld der Intuition müsse für Führungsaufgaben stärker trainiert, aber auch gesehen werden, so Mainzer weiter. Entscheidungen müssen antizipativ auch den Mitarbeiter einkalkulieren, seine Emotionalitäten.

Neben dieser Empathiefähigkeit sei auch Vertrauen zentral. Erklärbar etwa durch das Beispiel von Eltern, die die Vielfalt an Informationen, die bedrohlich sein oder ängstigen können, abfangen, während ihre Kinder darauf vertrauen, von ihnen gelenkt zu werden, sagt Mainzer. Ohne das Vertrauen der Belegschaft werde eine Führungskraft nicht arbeiten können. Und das Führen an sich? Dafür, sagt Mainzer, gebe es auch so etwas wie eine Begabung. Das verhalte sich ähnlich wie das Autofahren, das viele routiniert beherrschen, zum Rennen fahren. "Ab einem gewissen Grad spielt dann auch Begabung eine Rolle - aber genau das ist es, was den Menschen auszeichnet." (Heidi Aichinger, DER STANDARD, 7./8./9.4.2012)