"City of books": Pseudo-Bücherschränke oder doch lieber Großstadt- Skyline? Clegg & Guttmanns Installation "Falsa Prospettiva".

Foto: Oliver Ottenschläger

Wien - Keiner von ihnen lächelt, sie blicken ernst und würdevoll. Das monumentale Foto, auf dem die zwölf betagten Herren zu sehen sind, wird von Schwarz dominiert. Allesamt tragen sie, nebeneinander wie eine Bruderschaft aufgereiht, dunkle Anzüge samt Krawatte. Die Kragen ihrer weißen Hemden bilden helle Bildpunkte in der bedrohlichen Schwärze des Bildes. Im Hintergrund sieht man eine Anspielung auf den Meister der französischen Satire, Honoré Daumier, und seine Karikatur Après vous.

Zweifellos wirkt das Porträt Executives of the Steel Industry versus Executives of the Textile Industry (1981) des Künstlerduos Michael Clegg & Martin Guttmann wie ein Familienbild eines mächtigen italienischen Mafiaclans - in Wahrheit spannte Michael Clegg sogar seinen Großvater für das Porträt ein, da es an älteren Models mangelte. Das Foto suggeriert Herrschaft, es strahlt Macht aus.

Macht und ihre gesellschaftlichen Auswüchse stehen im Zentrum der 1980 an der New Yorker School of Visual Arts begonnenen Zusammenarbeit von Clegg & Guttmann, die sich zunächst auf Porträtfotografien in der Tradition Rembrandt van Rijns oder Jacopo Tintorettos konzentrierte. Erst in den 1990ern dehnten sie ihr Arbeitsfeld auf den öffentlichen Raum aus und schufen mit den Open Libraries - kleinen, aber frei zugänglichen Bibliotheken in der Öffentlichkeit - eine Form der unkonventionellen Wissensvermittlung, die breiten Anklang fand.

Für ihre Ausstellung Portraits and Other Cognitive Exercises 2001-2012 in den Räumen der Bawag Contemporary stellen die beiden Künstler Exemplare ihrer Werkreihe Cognitive Exercises älteren und jüngeren Beispielen ihrer einzigartigen Porträtfotografien gegenüber. Oder anders gesagt: Wissen und Macht treffen auf zwei- beziehungsweise dreidimensionaler Ebene aufeinander.

So hängt im hinteren Teil der Ausstellungsräume das Porträt Board of Directors (2007). Es zeigt drei ehemalige, in schwarze Anzüge gehüllte Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank. Die Fenster im Hintergrund geben den Blick frei auf die grauverschleierte Bankmetropole Frankfurt - Symbol des europäischen Kapitalismus.

Clegg & Guttmann gelingt es damit, Macht zu veranschaulichen. In diesem Fall jene des Finanzkapitals, das die Welt in Form von mehreren Krisen die vergangenen Jahre in Atem hielt. Das in Dublin und Jerusalem geborene Künstlerdoppel reflektiert mit Porträts wie diesem die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse.

Banker und Fake-Bücher

Den schwerreichen Bankern gegenüber installierten Clegg & Guttmann ihre Arbeit Falsa Prospettiva (2001). Zwei parallele Reihen von jeweils sechs Bücherschränken, die der Länge des Raums nach aufgestellt sind und dem Betrachter einen optischen Streich spielen. Die Schränke werden zunehmend kleiner, der Raum dafür scheinbar länger.

Obendrein stehen in den Kästen keine echten Bücher, die Buchrücken sind nur als Folie aufgeklebt. Das Künstlerduo nennt es eine Knowledge Sculpture: Wissen in Form von Geometrie-, Architektur- oder Religionsbüchern. Oder eine "city of books", eine Stadt der (falschen) Bücher, wie es Kuratorin Brigitte Huck nannte. Daneben finden sich noch eine Reihe weiterer Bibliotheken in unterschiedlichsten Formen: als Möbius-Schleife, als Pyramide und als verschobene, übereinander montierte Regale.

Außerdem regen mit Schultafellack überzogene schwarze Hexagone und Tafelkreide die eigene Kreativität an. Der Zugang zu Wissen und interaktive Teilhabe spielen bei Clegg & Guttmann eine große Rolle. (Michael Ortner, DER STANDARD, 12.4.2012)