Rufus Wainwright - "Out of the Game" (Universal), ab 23. April im Handel.

Foto: Tina Tyrell

Der kanadisch-US-amerikanische Songwriter spricht im Interview über das New York der 1970er-Jahre, seine Vaterfreuden, die Wiener Staatsoper und darüber, warum man immer noch "Ich liebe dich" singen darf.

STANDARD: Auf Ihrem neuen Album findet sich auch ein Song über Kaiserin Sisi. Wie kam es dazu?

Rufus Wainwright: Ja, das ist unglaublich distinguiert, finden Sie nicht? Am Beginn meiner Karriere war ich einmal als Vorprogramm von Sting vor dem Schloss Schönbrunn gebucht. Und mir wurde zuvor die Ehre einer exklusiven Führung durch das Schloss zuteil. Ich sah Räume, die der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich sind. Das inspirierte mich dann zu einem Song, den ich an und für sich für ein gemeinsames Projekt mit Neil Tennant schrieb, der es aber irgendwie nicht in die Endauswahl schaffte.

STANDARD: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Mark Ronson? Der britische Produzent ist ja eher für seine Arbeiten mit deklarierten Pop-Acts wie Amy Winehouse, Lily Allen oder Duran Duran bekannt und nicht so sehr für gediegene Songwriting-Kunst.

Wainwright: Ich wollte einmal ausprobieren, ob ich auch kommerzieller arbeiten kann, und schätze seine Arbeit sehr. Ich schickte ihm dann ein paar Songskizzen, und er arbeitete sich während eines Jahres in dieses Material ein und machte sich Gedanken über die Arrangements. Ein paar Mal musste ich Nein zu seinen Ideen sagen, aber im Großen und Ganzen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden.

STANDARD: Ihr neues Album wurde als "tanzbar" angekündigt. Nun klingt es allerdings wie eine Hommage an den melancholisch-weichen Popstil eines Elton John aus den frühen 1970er-Jahren.

Wainwright: Mark Ronson und ich wurden in den frühen 1970er-Jahren geboren. Wir wuchsen mit engen Jeans und "Big Hair" auf. Das ist sozusagen meine kreative Muttermilch. Es gab da in meinem Fall im New York meiner Kindheit auch einen bestimmten Geruch nach Abfall auf der Straße, an den ich mich noch immer sehr gut erinnere. Verschiedene ethnische Einflüsse und musikalische Stile in der Stadt zwischen Undergroundrock, Latin, Soul, Funk und so weiter waren damals natürlich auch wichtig. Die 1970er-Jahre waren einfach eine künstlerisch wahnsinnig fruchtbare Periode. Das kommt meinem eklektischen Ansatz sehr entgegen.

STANDARD: Könnte man das Grundgefühl Ihres neuen Albums auch mit jenem des Verlusts beschreiben. Trauern Sie imaginären guten Zeiten nach, die so wahrscheinlich ohnehin nie existierten? Die tollen 1960er-Jahre sind vorbei, der Vietnamkrieg wird nicht gut ausgehen, in New York geht mit Drogen und Kriminalität alles den Bach runter.

Wainwright:  Definitiv. Der Tod kam in das amerikanische Leben. Ich bin froh, dass auf dem Album dieser melancholische Aspekt trotz der Produktion überlebte. Viele Leute hatten ja böse Vorahnungen und meinten, dass ich mit so einem super angesagten Produzenten nach dem großen Geld greifen wolle. Natürlich habe ich das auch versucht, es ist mir allerdings nicht gelungen, Ausverkauf zu betreiben.

STANDARD: Der Anspruch war, ein bestimmtes damaliges Zeitgefühl wieder einzufangen?

Wainwright: Es geht wohl auch darum, dieser Zeit Tribut zu zollen, sich vor den damaligen künstlerischen Leistungen zu verbeugen. Nach dem Tod meiner Mutter (die kanadische Folksängerin Kate McGarrigle, Anm.) habe ich ihre Musik sehr intensiv gehört. Es ist ja auch das Einzige, was mir von ihr bleibt. Sie ist für mich eine der Größten in ihrem Fach. Sie hatte ihre große Zeit in den 1970er-Jahren, und ich begann dann eben auch intuitiv zu forschen, was in dieser Zeit sonst noch alles im Bereich des Songwriting zu hören war. Es gab da tolle Arrangements und Harmonien, die man heute leider nicht mehr allzu oft findet.

STANDARD: Sind Sie im Studio eine dominante Person, oder sind Sie bereit, auf die Ideen von Musikern oder Produzenten einzugehen?

Wainwright: Nachdem ich eine Oper namens "Prima Donna" geschrieben, Judy-Garland-Lieder aufgenommen, Shakespeare-Sonette vertont und schließlich meine Mutter begraben hatte und 2011 auch noch der Vater einer Tochter geworden war, war eines: Ich war sehr, sehr müde. Ich sackte also einfach in mich zusammen, gab Mark Ronson die Demofassungen der Songs und sagte ihm, er könne damit machen, was er wolle. Das funktionierte auch prächtig. Bei einigen Liedern fand er allerdings keinen Zugang, also musste ich mich zu Hause aus meinem Ohrensessel hieven, den Chef markieren und ein wenig Reparaturarbeiten verrichten. Ich war ja immer eine eher kontrollwütige Person, insofern war ich dieses Mal erleichtert, auch ein wenig loslassen zu können. Meine Güte, ich brauchte Jahre dazu.

STANDARD: Der Song "Montauk" dreht sich um Ihr Familienleben in dem Haus, das sie dort im Bundesstaat New York besitzen.

Wainwright:  Ich entwerfe darin mögliche Familiendramen, die sich dort anbahnen werden. Ich habe mit Leonard Cohens Tochter Lorca eine entzückende kleine jüdische Tochter, die mit ihrer Mutter in Los Angeles lebt, aber regelmäßig auf Besuch kommt. In Montauk wohne ich mit meinem Freund. Ich neige dazu, mich stets mit dem Kopf voran in nervenaufreibende Situationen zu begeben. Die Cohen-Familie und meine eigene ergeben eine ziemlich wilde Mischung egozentrischer Charaktere. Als Vater eines einjährigen Kindes befinde ich mich derzeit in der Situation eines distanzierten Gottes oben in der Höhe, der manchmal auf der Erde vorbeischaut, um zu sehen, was die Erdenkinder so treiben. Spaß beiseite, sobald das Kind wirklich zu kommunizieren beginnt, habe ich dringend vor, mich intensiver mit meiner Vaterrolle zu beschäftigen.

STANDARD: Sind Sie ein disziplinierter Arbeiter?

Wainwright: Ich bin ein genetisch-bedingter Prokrastinierer, der diese Kulturtechnik perfektioniert hat. Wenn ich keine andere Wahl mehr habe, weil ein Abgabetermin droht, bin ich allerdings sehr diszipliniert. Ich schaffe es dann, dass mir der Wind schnell, schnell ein Lied erzählt und ich das aufschreibe. Fertig.

STANDARD: Im Stück "Song For You" spielen Sie schamlos mit Liebesliedklischees und Reimen, die eigentlich seit ewig auf der schwarzen Liste stehen: "Fly high in the sky" und so weiter. Warum macht das ein Songwriter, der ernst genommen werden will?

Wainwright: In einem anderen der neuen Songs lautet der Refrain "Baby, I love you." Erst dachte ich auch, oh, Gott, was machst du da? Dann aber meinte eine Freundin, Rufus, das ist schlecht. Aber, verdammt noch mal, ich kriege die Zeile nicht mehr aus dem Kopf. Tja, so funktioniert Pop nun einmal. Er macht süchtig, und das klebrige Zeug bleibt in den Ohren haften.

STANDARD: Hat es vielleicht auch etwas mit dem Älterwerden zu tun, dass man vom Barocken und Ornamentalen zurück zu den einfachen Dingen kommt?

Wainwright: Meine Lieblingslieder auf dem neuen Album sind jene, die am schnellsten fertig waren. Meist sind das auch die besten. Nach meinen anstrengenden letzten Arbeiten, denen man ihre Ambition und komplexen Arrangements ja nicht absprechen kann, war ich schlicht froh, dass es auch einfacher geht. Im Vergeblich zum Schreiben einer Oper würde ich sagen, dass ein Popsong nicht einfacher zu komponieren ist. Es macht aber mehr Spaß, einen Popsong zu schreiben. Immerhin umgibt man sich im Pop generell mit Leuten, die etwas entspannter sind als in der klassischen Musik. Opernsänger, Dirigenten, meine Güte. Wenigstens weiß ich jetzt, wo mein Platz ist. Mein Vater (Loudon Wainwright III, Anm.) ist Folksänger, meine Mutter war Folksängerin. Ich bin ein Folkbaby. Selbstverständlich werde ich wieder eine Oper schreiben, seien Sie gewarnt.

STANDARD: Immerhin treten Sie beim Jazzfest Wien heuer einstweilen mit Ihrer Band in der Wiener Staatsoper auf.

Wainwright: Ist das nicht aufregend?! Ich bin völlig aus dem Häuschen. Ich habe dort einige Aufführungen gesehen, und sie zählen zu den aufregendsten Erlebnissen in meinem Leben, Der fliegende Holländer, Elektra, einmal zu Silvester Die Fledermaus. Den Opernball habe ich auf Anraten meiner österreichischen Freunde allerdings ausgelassen.

STANDARD: Sie haben lange Zeit in Berlin gelebt und sind nun zurück in die Vereinigten Staaten gezogen. Es heißt, Sie hätten sich mit Ihrem Freund verlobt.

Wainwright:  Mein Freund hat einen Job in Toronto gefunden, und wir verbringen neben New York und Montauk auch viel Zeit in Kanada. Wir haben in Kanada schon geheiratet und werden dies demnächst noch einmal in New York machen, weil es jetzt auch dort erlaubt ist. In einem puritanischen Land muss man Zeichen setzen. Das ist definitiv auch eine politisch motivierte Heirat. Eigentlich ist mir Ehe als Institution nicht wichtig. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 13.4.2012)