Spain - "The Soul Of Spain" (Glitterhouse/Hoanzl)

Foto: Glitterhouse

Ihre Kernkompetenz war die Ballade. In ihr erblühte das Ersehnen, Leiden und Wehklagen. Schamlos und waidwund klang das, so erbarmungswürdig wie wunderschön. Das Tempo war raus, das Schlagzeug beförderte einen trägen Rhythmus - und dennoch hat diese Band namens Spain etwas mit Nine Inch Nails gemeinsam. Beiden wurde ein Lied enteignet. Für immer. Und zwar von Johnny Cash.

So wie die verstorbene Country-Music-Gottheit sich für sein Spätwerk die Selbstbeschädigungs-Ballade Hurt von Nine Inch Nails einverleibt hatte, tat er dasselbe mit dem Lied Spiritual von Spain. Auch diesem Flehen drückte Cash im Zuge einer freundlichen Übernahme mit all seiner Autorität seinen Stempel auf. So dominant, dass die tatsächlichen Schöpfer dahinter fast in Vergessenheit gerieten. Während das Trent Reznor von Nine Inch Nails eine Million extra beim Therapeuten kostete, ist über besonderen Schaden aufseiten von Spain nichts überliefert.

Abgesehen von dieser musikhistorischen Fußnote war Spain wenig bekannt. Seltsamer Name, aus Los Angeles stammend. Was sonst? Pflichtschuldig sei erwähnt, dass es sich beim Chef der Band, Josh Haden, um den Sohn des Jazz-Bassisten Charlie Haden handelt. Mit der Musik von Spain hat diese Information wenig bis nichts zu tun. Debütiert hatte die Band 1995 mit dem Album The Blue Moods Of Spain. Das Cover erinnerte an die hohe Zeit der Cover-Kunst aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Schöne Farben, geschmackvolle Typo, eine geheimnisvolle Schönheit als Blickfang.

Die Musik von Spain schlich zu solchen Motiven wie betäubt um die Häuser. Sie entlud sich in dunklen Erzählungen, in Songs, die wie desperate Kurzgeschichten aus verrauchten Bars hallten. Raymond Chandler als Musik, Charles Bukowski, wenn dieser nicht nur auf Klassik gestanden wäre.

Drei Alben füllten Spain auf diese Art, eines ihrer schönsten Stücke brauchte nicht einmal einen Namen, um zu betören: Die Bezeichnung Untitled reichte vollkommen. Für den Soundtrack von Wim Wenders Film The End Of Violence rissen sie sich mit Everytime I Try ihr vielleicht schönstes Lied aus der Brust. 2001 erschien dann mit I Believe das Vermächtnis der Band, seit damals widmete sich Haden verwegenen Neigungen wie Bluegrass, oder er musizierte mit seinen Schwestern.

Nun hat er die für immer verwirkt geglaubten Spain dick bebrillt wiederbelebt und The Soul Of Spain eingespielt. Ästhetisch legt Haden es heute so an wie ehedem. Fast. Nach zwei Liedern, die mit schweren Füßen in die Schönheit dieses Universums geleiten, drehen Spain plötzlich auf. Eine fette Orgel bläst die sonst sehr intim gehaltene Produktion nachgerade cinemascopisch auf, ohne ihr die Nähe zu nehmen. Das ist neu und verleiht dem Spain-Sound einen wohltuenden Mehrwert. Denn trotz all ihrer Schönheit blieben Spain-Songs doch ziemlich berechenbar.

Anstatt nach diesem Schritt in Richtung Neuland gleich wieder in herkömmlichen Trott zu verfallen, nimmt die Gruppe bei I'm Still Free nur das Tempo zurück, belässt aber die dominante Orgel. Das ergibt eine Kunst, die entfernt an die britischen Tindersticks erinnert - vorausgesetzt, man würde die von Stuart Staples geknödelten Texte verstehen. Haden trägt die seinen klar wie ein Chorknabe vor. In seiner Stimme ist nichts gekünsteltes, der Mann singt aus reinem Herzen.

Nur in einem Stück straucheln Spain. Miracle Man, ein ebenfalls heftiger angeschlagenes Lied, wirkt in seiner Klobigkeit seltsam deplatziert. Als würden Spain das selbst bemerken, kleben sie über diese Wunde zwei ihrer schönsten Balladen wie Pflaster. Die Bände sprechenden Songs Falling und Hang Your Head Down Low. Lieder wie Manifeste. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 13.4.2012)