Strammes Brauchtum mit Hut und Janker: Othmar Schmiderers Dokumentarfilm "Stoff der Heimat" zeigt Trachtenträgerinnen und -träger verschiedenster Generationen und Geisteshaltungen.

 

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Alles beginnt im "Sommer 1972": Eine forsche Niederösterreicherin überrascht ihre türkischen Verwandten dann nicht nur mit ihrem Auto.

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Wien - Wer ins Dirndl oder in den Janker schlüpft, der will sich meistens nicht nur schön kleiden oder bloß warmhalten, sondern der trägt auch etwas zur Schau. Die sozialen Codes von Mode kommen wohl kaum wo so deutlich zum Vorschein wie bei der Tracht. Diese erzählt von enger Verbundenheit zur Heimat, sie stiftet gleichermaßen Identität, wie sie die Individualität der Träger in regionaler Geselligkeit aufzuheben vermag.

Besonders im Alpenraum gilt die Tracht vielen Zeitgenossen allerdings als Bekenntnis zum Konservatismus. Der Makel der einstigen Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus klebt daran, immer noch dienen Jopperl und Gamsbart dazu, rechte politische Gesinnung zur Schau zu stellen. Der österreichische Dokumentarist Othmar Schmiderer bewegt sich in Stoff der Heimat in ebendiesem Spannungsfeld, es geht ihm um ein Bild der Besetzungen und Instrumentalisierungen von Trachten in der Gegenwart.

Imagewandel gesucht

Ein breites Feld, das Schmiderer im Reportagestil ohne Off-Kommentar mit illustren Formen der Brauchtumspflege eröffnet, die von österreichischen Bundesländern bis in die Schweiz führen: feierliche Anlässe, bei denen Politiker ein paar Mal zu oft ihre Stehsätze abliefern (Tenor: Traditionspflege gegen Globalisierung). Ergiebiger wird Schmiderers Ansatz da, wo andere Interessen ins Spiel kommen. Die Modebranche, etwa in Person Gexi Tostmanns, versucht die Tracht schon aus Geschäftskalkül mit einem moderneren Image zu versehen.

Stoff der Heimat bleibt insgesamt etwas zu einseitig auf repräsentative Fragen beschränkt; Brauchtum als Handwerk oder als kulturelle Praxis wird öfter erwähnt als dokumentarisch notiert. Auf dem Weg vom Stereotyp zum Marginalen deckt der Film immerhin einiges an Unbekanntem um Trachten auf - ob es das Faible von Homosexuellen für die Krachlederne, ein Dirndl als Moschee oder eine verschüttete jüdische Aneignung von Trachten ist.

Die dokumentarische Reise, die Wilma Calisir in ihrem Kinodebüt Sommer 1972 unternimmt, ist im Gegensatz zu Schmiderers Film ganz persönlich motiviert: Calisir, 1981 in Waidhofen/NÖ geboren, will ihre Familiengeschichte ergründen. Ihre Mutter war im besagten Sommer mit Freunden auf "Tramperurlaub" im Süden der Türkei. Dort lernte sie einen feschen Einheimischen kennen, der sich bald danach seinerseits gen Niederösterreich aufmachte.

Die beiden wurden ein Paar. Die Mutter arbeitete als Lehrerin, Osman Calisir versuchte sich in unterschiedlichen Berufen, unter anderem als Wirt. Zwei Töchter wurden geboren, aber die Beziehung scheiterte. Die Kinder erlebten den Vater vor allem als "spontanen Gast". Erst mit dem Erwachsenwerden begann eine Wiederannäherung: an den Vater, dessen Herkunftsland, Sprache und die eigenen türkischen Wurzeln.

Der Film rekonstruiert diese Geschichte in Szenen, in denen Wilma Calisir Familienmitglieder - die Mutter, deren Freundinnen, einen Onkel und den Vater - zu Wort kommen lässt. Die Involviertheit der Regisseurin ist nicht nur ein Vorteil, gerade beim ausbleibenden Nachfragen wird das spürbar. Dem Blick ins Innere der Familie, auch in alten Fotos dokumentiert, fehlt ein wenig die umgekehrte Perspektive nach außen.

Zu den großteils statischen Interviews kommt ein Roadmovie: Filmemacherin, Schwester und Onkel Irfan brechen im Kleinbus auf, um die Reise von einst zu wiederholen und am Ende dann auch den türkischen Teil der Verwandtschaft ins Bild zu holen. Vor allem dabei gewinnt Sommer 1972 eine andere Dynamik: Man wird in einen gelebten Alltag mitgenommen, in dem ungelenk, aber unter guten Vorzeichen vielleicht eine neue Phase des Lebens als Familie beginnt.   (Dominik Kamalzadeh / Isabella Reicher,  DER STANDARD, 14./15.4.2012)