Günter Bentele: "Individuelles Fehlverhalten schadet der Branche insgesamt sehr schnell."

Foto: prva/Jana MADZIGON/ARTISTA.AT

Über Ethik und PR disktuierten Booms, Langenbucher, Bentele, Faber-Wiener, Hahn und ...

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Bitschnau, Tinkler, Senft und Stuiber (v. li.).

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Wien - "Erst kommt das Fressen, dann die Moral: PR, ein Beruf zwischen den Stühlen?": So lautete das Thema einer Diskussion am Dienstagabend. "Nicht mit dem Zeigefinger, sondern durch Diskurs über die Kernfragen der PR-Branche" reden will der PR-Ethikrat, etwa: Wie schafft es die Branche nach allen Turbulenzen der letzten Zeit, wieder Glaubwürdigkeit herzustellen? Wem sind PR-Berater verpflichtet, Auftraggeber oder Gemeinwohl? "Es gibt da draußen einige schwarze Schafe, und die stellen die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche in Frage", sagt Moderatorin und ORF-Radiojournalistin Nadja Hahn zu Beginn.

Dass die Glaubwürdigkeit der Branche massiv unter Buwog, Telekom, Inseratenaffären und anderen Skandalen gelitten hat, zeigen auch zwei aktuelle Studien, durchgeführt von meinungsraum.at. So sagen knapp drei Viertel der befragten PR-Leute, dass ihre Branche ein ethisches Problem habe. Generell zeigt sich ein Vertrauensverlust gegenüber der Medienberichterstattung, nur noch ein Drittel der Befragten hält Medienberichte für glaubwürdig. Fast die Hälfte ist der Meinung, dass viele Berichte von Politik oder Unternehmen gekauft sind. Für mehr als die Hälfte hat sich die Glaubwürdigkeit in letzter Zeit stark verschlechtert. (Mehr zu den Studien finden Sie hier.)

"Einiges schiefgelaufen"

"Wer in der PR-Branche arbeitet und sagt, er hat nie einen Interessenkonflikt, der ist nicht ehrlich", meint Renate Skoff vom PR-Ethikrat. "Manche schauen immer noch nicht ausreichend in den Spiegel und stellen sich den Problemen nicht." Es sei vieles schiefgelaufen. "Ethik im Journalismus, in der PR, in der Werbung geht jeden Praktiker etwas an", sagt Günter Bentele von der Uni Leipzig, "es ist unmöglich zu kommunizieren, ohne die moralische Dimension mit zu berücksichtigen. Richtig zu kommunizieren ist immer auch eine moralische Frage, eine Frage der moralischen Haltung derjenigen, die kommunizieren, die Texte rezipieren und interpretieren."

Es reiche nicht aus, dass es Gesetze gibt. Gesetze könnten nicht alles regeln. Hier seien ethische Normen gefragt. Die Reputation des Berufsfeldes PR werde zwar wesentlich von Journalisten "gemacht". Denn der Durschnittsleser wisse nicht, dass sehr viel von dem, was er täglich liest, von PR-Seite gesteuert werde. Dennoch sei auch das faktische Kommunikationsverhalten von PR-Praktikern wichtig.

Bentele: "Moralisch sauberes Berufsverhalten ist für PR-Praktiker noch wichtiger als für Angehörige anderer Berufe, weil sie unter ständiger Beaufsichtigung von Journalisten beziehungsweise Medien stehen." Individuelles Fehlverhalten würde hier der Branche insgesamt sehr schnell schaden, auch durch den Mechanismus der Verallgemeinerung - er erinnert dabei an den Fall Hunzinger in Deutschland.

"Verantwortliche Interessenvertretung"

In Deutschland wird gerade ein neuer Kommunikationskodex geschaffen, der Leitgedanke dort: "Verantwortliche Interessenvertretung". Das soll ausdrücken, dass PR-Praktiker auch der Öffentlichkeit gegenüber eine Verantwortung haben. Dem PR-Ethikrat werde zwar immer vorgeworfen, ein "zahnloser Tiger" zu sein, eine Rüge zeige dennoch Wirkung, erzählt Bentele und bringt als Beispiel den Fall der fingierten Beiträge in Onlineforen der Deutschen Bahn.

Damals musste der verantwortliche Kommunikationschef Ralf Klein-Bölting den Hut nehmen, die in die umstrittenen PR-Maßnahmen verwickelte Agentur Berlinpolis habe daraufhin auch einen Auftrag des Wirtschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen verloren. Bentele: "Wir haben nicht das Ziel, Agenturen ökonomischen Schaden zuzufügen, aber wir haben das Ziel, Fehlverhalten an die Öffentlichkeit zu bringen."

Unternehmerische Verantwortung

"Es gibt ein neues Bewusstsein über ethische Fragestellungen. Hier hat sich in kurzer Zeit viel getan", sagt Martin Booms, Gründer und geschäftsführender Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn. Booms: "Derzeit findet eine Emanzipation von unten statt, Menschen stellen moralische und gesellschaftliche Ansprüche an Unternehmen. Und durch die Digitalisierung erleben wir auch einen Wandel in der Kommunikationsstruktur."

Was aber oft nicht zur Sprache komme, sei die Verantwortung im ureigenen unternehmerischen Tun. Es gehe nicht darum, dass eine Bank den Regenwald rettet, sondern darum, wie diese Bank mit dem umgeht, was sie in ihrem Kernbereich tut. Booms: "Ein Unternehmen muss dort Verantwortung übernehmen, wo es selber unterwegs ist." Und es gehe darum, Eigeninteressen transparent in den öffentlichen Raum zu transportieren.

"Paragraf 26 ist zu einer toten Materie geworden"

Für Wolfgang Langenbucher, den Vorsitzenden des PR-Ethikrats, sind die Sanktionsmöglichkeiten bei Vergehen der PR-Branche zu gering. Der Ethikrat als Selbstkontrollgremium könne Vergehen zwar an den öffentlichen Pranger stellen, aber das werde oft nicht einmal ignoriert. Langenbucher: "Wir haben uns vor allem mit den schwarzen Schafen der Medienbranche beschäftigt, vor allem dort, wo schlampig mit der Kennzeichnungspflicht umgegangen wird." Hier müsse man aber nicht nur die Medien, sondern auch die Agenturen in die Pflicht nehmen. Auf der Kennzeichnungspflicht nicht zu beharren sei bei Agenturen mittlerweile zu einem Wettbewerb geworden. Paragraf 26 im Mediengesetz regelt die Kennzeichnungspflicht von bezahlten Anzeigen. Langenbucher: "Der Paragraf 26 ist zu einer toten Materie geworden."

Man könne immer über die Verschärfung von Sanktionen nachdenken, sagt Günter Bentele. Eine Möglichkeit wäre, die Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen die PR-Kodizes unterschreiben zu lassen. Bentele: "Dann hätte das Unternehmen eine Handhabe bei Fehlverhalten dieser Personen."

Spagat zwischen Auftragskommunikation und Gemeinwohl

Für Gabriele Faber-Wiener, die Gründerin des Center for Responsible Management, ist das Dilemma der PR-Branche der Spagat zwischen Auftragskommunikation und Gemeinwohl. "Wir sind Mittler zwischen zwei Welten und versuchen permanent, diesen Spagat zu schaffen. Das führt zu Glaubwürdigkeitsproblemen." Die PR sei derzeit primär Vermittlung des Selbstbildes. Es gehe darum, von diesem Kontrollbedürfnis und dem Hang zum Positiven wegzukommen. Die Branche müsse ihre Job-Description überdenken. Derzeit würden sich PR-Experten meist nicht dafür verantwortlich fühlen, dass Ethik im Management gelebt werde.

Werte in Unternehmen

RZB-Unternehmenssprecher Gregor Bitschnau: "Ich muss das eigene Geschäft und das, was ich verkaufe, und Corprorate Responsibility verbinden können. Wir sind an die Werte des Unternehmens gebunden." So sei zum Beispiel auch im RZB Code of Conduct festgehalten, dass die RZB keine Atomkraftwerke, keine Waffengeschäfte und Unternehmen, die Kinderarbeit zulassen, finanziere. Bitschnau: "Es gibt ganz klare Regeln, was das Unternehmen darf oder nicht darf." Gefragt, ob es Einfluss aus der Politik gebe, antwortet er so: "Die Politik gibt Reglementierungen vor, die eingehalten werden müssen."

Dass Rewe jetzt offener kommuniziert als früher, liegt laut Unternehmenssprecherin Corinna Tinkler daran, dass ein Wechsel in der Unternehmenskultur stattgefunden habe. Bei laufenden Untersuchungen wie bei der aktuellen Hausdurchsuchung zu Preisabsprachen sei man aber auch an bestimmte Regelungen gebunden. Aber auch hier habe man kommuniziert. Generell unter Generalverdacht gestellt zu werden sei auch nicht ganz einfach für die Kommunikation.

"Jede Agentur hat die Kunden, die zu ihr passen"

"Was bedeutet Qualität für Agenturen?", damit beschäftigt sich PR Quality Austria. Geschäftsführerin Susanne Senft: "Es geht darum, wie man als Agentur verantwortungsvoll mit dem Platz zwischen dem Kunden und der Öffentlichkeit umgeht." Auf der Seite des Kunden gebe es oft Unwissenheit, man könne nicht davon ausgehen, dass auf der Kundenseite immer ausgebildete PR-Menschen sitzen.  "Jede Agentur hat die Kunden, die zu ihr passen", sagt Senft, "ethisches Verhalten ist eine tägliche Übung, die viel mit persönlicher Haltung zu tun hat." Und dort, wo es kriminelle Energie gibt, würden auch Regeln nichts bringen, diese Menschen würden immer einen Weg finden, diese zu hintergehen.

Kirsche am Kuchen

Generell gehe es auch darum, die Rolle der PR-Verantwortlichen in Unternehmen zu stärken, verlangt Wolfgang Langenbucher. Es herrsche Unwissenheit darüber, was PR-Menschen tun. "Der Wert der PR ist schwer darzustellen", sagt Senft, "wir werden immer noch oft wie die Kirsche am Kuchen gesehen." Senft: "Wir müssen es schaffen, den strategischen Effekt darzustellen. Aber wir werden nie klare Eurozahlen vorlegen können wie das Marketing oder der Vertrieb." Für Corinna Tinkler ist deshalb auch besonders wichtig, die Evaluierung von PR-Maßnahmen zu professionalisieren.

Strenge Trennung zwischen Redaktion und Anzeigen

"Die Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung ist bei uns so streng, dass wir einander kaum kennen. Hier wird kein Einfluss genommen", sagt Petra Stuiber, Chronik-Ressortleiterin des STANDARD. "Alle Medien, auch Boulevardmedien, sollten darauf Wert legen, dass es eine saubere Kennzeichnung und Unterscheidung zwischen redaktionellem und anzeigengesteuertem Inhalt gibt", sagt sie. Das würde auch die Glaubwürdigkeit der Medien stärken. Natürlich gebe es auch beim STANDARD Formate, die anzeigengesteuert sind, spezielle Beilagen zum Beispiel. Hier liege die redaktionelle Oberhoheit aber beim STANDARD. Angebote, bei denen Auftraggeber inhaltlich mitreden wollten, würden abgelehnt. 

Aufholbedarf gebe es hier beim Reisejournalismus, eine Kennzeichnung, dass Journalisten eingeladen wurden, finde kaum statt. Stuiber: "Ein Code of Conduct stünde der ganzen Branche hier gut an." Auch Redakteure der Auslandchronik würden zum Beispiel von NGOs auf Reisen eingeladen. Stuiber: "Wenn wir wo hinfliegen, bestehen wir darauf, dass wir einen Teil selbst bezahlen. Da tut man auch den Journalisten einen Gefallen, weil sie sich freier fühlen."

Mit Transparenz gegen unethisches Verhalten

Wie man es schafft, der PR Glaubwürdigkeit zurückzugeben, dazu hat Jürgen Gangoly, Geschäftsführer der PR-Agentur The Skills Group einen Vorschlag: "Es fehlt an Transparenz. Es wäre doch so einfach, unethisches Verhalten, das tagtäglich in der Kommunikationsbranche auf Medienseite und auch auf Agenturseite stattfindet, öffentlich zu machen." Journalisten hätten die Macht, unethische Forderungen in Artikeln zu veröffentlichen. Und umgekehrt könnten PR-Agenturen unethisches Verhalten von Medienvertretern öffentlich machen. So werde zum Beispiel von Medien mit schlechter Berichterstattung gedroht, wenn keine Anzeigen geschaltet werden. Gangoly: "Wenn das alles transparent wäre, würde dieses unethische Verhalten rasch aufhören." (ae, derStandard.at, 18.4.2012)