Es ist schon einige Zeit her, da waren wir alle keine Menschen, sondern Affen. Manches war in der äffischen Ära komplizierter (endloses Lebensmittelsuchen aus Mangel an Supermärkten), anderes war sehr nett, vor allem die langen Abende in den Höhlen. Draußen röhrten die Velociraptoren und Säbelzahntiger, drinnen war es warm und gemütlich. Und auch intim.

Niemand fand etwas dabei, der Nebenäffin ein Stäubchen von der Brustwarze zu zupfen oder dem Nachbaraffen eine Laus aus dem Schamhaar zu popeln. Dann aber kamen die Bronzezeit, das Römische Reich, das Christentum, der Buchdruck, die schwarz-blaue Koalition, das iPhone und Twitter. Mit jedem Stück Fortschritt ging zugleich ein Stück Intimität verloren. SoziologInnen sprechen der Einfachheit halber von einem strukturtypologisch genderrepressiven Ent-Intimisierungsprozess.

Tatsächlich gibt es heute nur mehr wenige Möglichkeiten für Einblicke ins Intimleben anderer Leute. Eine davon ist diese: Man wird von Familie X eingeladen, ein paar Tage in deren Wohnung zu verbringen. Die Ixens sind zu arm oder zu geizig für ein Gästebadezimmer, weshalb man das Badezimmer der Ixens mitbenutzen muss. Fremde Badezimmer sind immer Schatzkammern wertvoller Intiminformationen. Wer das Badezimmer der Ixens benutzt, erfährt, wie das Ehepaar X verhütet, dass Herr X ein Ersatzgebiss besitzt und mit welcher Creme Frau X ihrer Zellulite zu Leibe rückt. Lauter brandheißes Intimwissen!

Weil wir gerade beim Thema sind, muss ich Ihnen eine Anekdote erzählen, wie einmal einer befreundeten Radioredakteurin ein unerwarteter Intimeinblick zuteilwurde. Im Zentrum der Anekdote steht eine Aphte (für alle Nichtzahnärzte: ein kleiner Schleimhautschaden im Mund). Die Redakteurin traf einst an ihrem Arbeitsplatz auf einen Kollegen, der sich ihr mit einer Bitte in den Weg stellte. Ob ihm denn die werte Kollegin nicht einen Dienst abnehmen könne, weil er an einer Aphte leide und sich beim Sprechen schwertue.

Ehe die Redakteurin zum Nachdenken kam, veranschaulichte er die Dramatik seiner Behinderung, indem er mit beiden Händen seine Unterlippe herunterzog und eine veritable Prachtapthe präsentierte. "Thanks for sharing!", sagt der Amerikaner in solchen Fällen. Immerhin ein Glück, dass der Kollege nicht am harten Schanker erkrankt war. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 21./22.4.2012)