Zuversichtlich trotz knapper finanzieller Mittel: Christine Dollhofer gelang es, Crossing Europe zu einer beliebten Anlaufstelle für europäische Filmschaffende zu machen.

 

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Drei Empfehlungen (aus 146): Nicolas Provosts in Brüssel angesiedelter "L'envahisseur" ("The Invader") ...

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... Fritz Ofners "Libya Hurra" ("Free Libya") über die Endphasen der Revolution ...

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... und Marten Persiels "This Ain't California" über die Skater-Szene in der DDR.

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STANDARD: Der Schwerpunkt von Crossing Europe liegt seit Beginn auf jungem europäischem Kino. Welche Entwicklungen machen sich seit der Gründung des Festivals 2004 bemerkbar?

Dollhofer: Es gibt nach wie vor unglaublich viele Newcomer mit ersten oder zweiten Arbeiten, die auf Festivals Erfolge feiern. Es gibt aber auch sehr viele Leute, die verlorengehen - oft sind das Frauen, die bei Debüts noch viel zahlreicher vertreten sind. Dies zeigt, wie hart der Markt ist und wie schwierig es sein kann, sich zu etablieren. Ich spreche von einem eigenwilligen Autorenkino abseits des Arthouse-Mainstreams. Erste Arbeiten entstehen oft noch unter selbstausbeuterischen Bedingungen, viele arbeiten ehrenamtlich, oft sind das auch noch Hochschulprojekte. Mit zweiten und dritten Arbeiten ergibt sich dann oft eine lange Wartezeit.

STANDARD: Und irgendwann gibt man dann einfach auf?

Dollhofer: Oft liegt es am Erfolgsdruck. Bestimmte Nachwuchsförderungen stehen dann nicht mehr zur Verfügung. Ich glaube auch, dass es zunehmend schwieriger wird, ein riskantes Kino zu produzieren. Paradoxerweise werden jedoch jedes Jahr noch mehr Filme realisiert. Vor neun Jahren waren es noch 800 Kinofilme in Europa, jetzt sind es schon 1300.

STANDARD: Das Festival gibt es nun ungefähr so lang wie die Wirtschaftskrise. Schafft diese nicht auch andere Realitäten am Markt? Es heißt, dass Produktionen mittlerer Größe am stärksten leiden.

Dollhofer: Insgesamt gilt die alte Regel, dass viele Koproduktionspartner oder -länder die Produktion teurer werden lassen - dies wird schwieriger. Je weniger Leute in einem Produktionsprozess involviert sind, desto eigenständiger kann man arbeiten.

STANDARD: Das heißt, dass die Idee der europäischen Koproduktion auch in der Krise ist?

Dollhofer: Einerseits gibt es so etwas wie den Europudding. Da wird das Drehbuch so oft umgeschrieben, bis der Film die Auflagen der jeweiligen Länder erfüllt. Andererseits sind Koproduktionen auch sehr positiv. Durch die EU-Programme findet viel internationaler Austausch unter den Filmschaffenden statt. Das fördert die Professionalisierung, weil man auf Kreativteams aus ganz Europa zurückgreifen kann. In Österreich scheint der Koproduktionstrend allerdings wieder zurückzugehen. Die Gelder werden knapp - da realisiert man dann lieber inländische Filme. Auch aus Angst, dass das Geld nicht im Land bleibt.

STANDARD: Sie haben in den letzten Jahren viele Filme aus Osteuropa gezeigt: Manifestiert sich in den Filmen auch ein Riss zwischen alten und neuen EU-Staaten? Die Skepsis der alten Länder, der Ehrgeiz, die Euphorie und Ernüchterung der jungen?

Dollhofer: In Südosteuropa liegen die Themen sprichwörtlich vor der eigenen Haustür. Die aus den turbokapitalistischen Verhältnissen hervorgegangene Krise ist natürlich ein ungemein spannender Stoff für Filme. Speziell um 2000 sind da sehr viele neue Talente aus dem Boden geschossen - das neue rumänische Kino reüssiert mittlerweile international. Das große Problem ist, dass diese Länder, anders als etwa Frankreich, keine Stars herausgebildet haben, die als Werbetools funktionieren. Osteuropäischen Filmen gelingt es auch kaum, in Österreich ins Kino zu kommen, und wenn doch, dann laufen sie sehr schlecht.

STANDARD: Das Budget von Crossing stagniert seit Linz09 bei rund 500.000 Euro, das ist rund ein Drittel von dem, was der Diagonale zur Verfügung steht - und ein Sechstel der Viennale. Wie viel wird dadurch konzeptuell verhindert?

Dollhofer: Es ist alles in einem sehr engen Korsett gehalten: finanziell, organisatorisch, infrastrukturell. Man merkt an jeder kleineren Bewegung Richtung Expansion, dass das sehr schnell unseren Rahmen sprengt. Wir dauern nur sechs Tage, das ist sehr gepresst - Luxusprogramme wie Retrospektiven, die man recherchieren muss, sind da nicht drinnen. Das nervt schon sehr. Mein Wunsch wäre auch, die Kolleginnen und Kollegen, die seit vielen Jahren dabei sind, finanziell upzugraden. Wir wachsen beständig, in der Wahrnehmung und im Publikumszuspruch, aber die Budgets wachsen nicht mit - ich spreche speziell von öffentlichen Fördergebern.

STANDARD: Der private Sektor gleicht dies nicht aus, wie man am Ausfall des Hauptsponsors A1 erkennen kann.

Dollhofer: Ich bin dahin gehend ein gebranntes Kind. Dass Budgets immer im Wandel sind, kennt man, aber es schmerzt trotzdem. Zugleich dokumentiert es die aktuelle Lage im Kulturbetrieb, dass wir immer mehr dazu gezwungen sind, Gelder aus der Wirtschaft zu lukrieren und von den öffentlichen Fördergebern etwas alleingelassen werden. Das war vor 20 Jahren ganz anders, da war 98 Prozent des Budgets öffentliches Geld.

STANDARD: Die Kulturpolitik tendiert dazu, große kostspielige Flaggschiffe zu unterstützen, kleinere Initiativen dafür dahindarben zu lassen. Braucht es nicht einen anderen Zugang - und etwa Mut zu Umverteilungen?

Dollhofer: Es ist ganz klar eine Frage der politischen Gestaltung und der Prioritäten - das Geld ist ja da. Wir sind in Linz im Topf der freien Szene angesiedelt - das sagt eigentlich schon alles. Es gibt zwar Verständnis, man findet die Veranstaltung toll, aber man begreift nicht, dass es mehr Mittel dafür braucht. Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn es den kulturpolitischen Willen zu diesem Festival nicht gibt, dann machen wir es eben nicht mehr. Nachdem wir nun Restmittel von Linz09 aufgebraucht haben, muss ohnehin neu mit der Stadt und dem Land verhandelt werden - und ich bin da ganz optimistisch.

STANDARD: Drei Filme, die Sie besonders empfehlen?

Dollhofer: "The Invader", "Free Libya" - oh Gott, ich kann 146 Filme empfehlen: "This Ain't California". (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 24.4.2012)