US-Sängerin Santigold und die Geister der Popgeschichte: Zwischen Afromusik und weißer New Wave inklusive zickigen Gesangs aus den 1980er-Jahren spielt es hier alle Stücke.

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Das klappt zwar nicht, klingt aber trotzdem gut.

Wien - Die Größe des letzten real existierenden Superstars Madonna und deren Einfluss auf viele, nicht ursächlich auf Pop beruhende Auswirkungen auf die westliche Wertegemeinschaft werden sich aus verschiedenen Gründen nicht länger erreichen lassen. Wir sind heute alle längst "Piraten" der "Partei", ob wir es weltanschaulich wollen oder nicht.

Zu diesen überlebten Vorgaben zählen neben der Regentschaft des streng individuell strategierten Synchrontanzes zu unbedarfter Lalelumusik, geilen neuen äußeren Designerhüllen oder leicht verdaulichen Strategien, weltmusikalische Einflüsse wie die schwedischen Abba oder brutistische kongolesische Elektroniktanzstile einzugemeinden, etwa auch das so nicht mehr bestehende Musikfernsehen.

Es geht natürlich auch um die generelle Gelangweiltheit eines Mainstreampublikums, das sich nicht weiter verpflichtet fühlt, seinen alten Heldinnen zu folgen. Und die Geschichte handelt vor allem auch von der Tatsache, dass eine von den 1980er-Jahren herauf stattgefunden habende Entwicklung zur jederzeitigen MP3-Gratisverfügbarkeit nicht länger nötig ist.

Das jetzt erscheinende zweite Album der afroamerikanischen Künstlerin Santigold kann dafür als beispielhaft gelten. Mit "Masters Of My Make-Believe" legt die 35-jährige Künstlerin nach ihrem infolge eines unerheblichen Urheberrechtsstreits vor drei Jahren mit "Santogold" betitelten Debütalbum eine Arbeit vor, die genau dieses Spektrum visionärer Verlorenheit charakterisiert.

Santi White aus Philadelphia wuchs als kulturell in den 1980er-Jahren initiiertes Kind exakt zwischen der afroamerikanischen Plattensammlung ihres die Musik eines aus Nigeria stammenden Künstlers wie Fela Kuti verehrenden oder dem US-Soulgott James Brown huldigenden Vaters auf. In ihrer Kindheit konsumierte Santigold aber auch Punk, Rap oder die Schulterpolstersakko-Musik der New Wave. Zackige Rhythmen, lustige Hornbrillen, schreibunte Kleidung, Haargeltöpfe - nach dem dritten Refrain ein in der Brunft des weißen Mannes brüllendes Saxofonsolo: Das war und ist Santigolds Welt.

Gegengift zu ethnischem Pop

Das führte nicht nur zu unerfreulichen Welteroberungsplänen und ersten Gehversuchen mit einer Punkband namens Stiffed. Nachdem Santigold als Fließbandkomponistin bei der Sony-Subfirma Epic angeheuert hatte, war sie auch für Outletcenter-Diven wie Christina Aguilera tätig.

Ihr 2009 erschienenes namenloses Debüt "Santogold" präsentierte die Sängerin als brauchbares, weil noch immer Erwartungshaltungen im Rollenfach "Black Music" brechendes Gegengift. New Wave, Tanzhemmung niederbügelnde afroamerikanische Rhythmik im roten Aufregungsbereich. Dazu grelle Funkgitarren und schnalzende Marschtrommeln. Darüber zittert, bebt und zickt Santigolds kulturell wenig verankerte, stark verhallte Stirnhöhlenverengungsstimme zwischen satten schwarzen Dubbeats der weißen Altvorderen The Clash und klinisch reinen Synthie-Teppichen aus der Schule der schwarzen Funkgötter Cameo ("Word Up").

Produziert wurde das Album "Masters Of My Make-Believe" von bekannten Genregrößen wie Dave Sitek von TV On The Radio, Dave Zinner von The Yeah Yeah Yeahs oder Hip-Hop-Altvater Q-Tip und Dancefloor-Hype Diplo. Musikalisch wird also alles geboten, was früher in der Kategorie "Diversifizität" punkten konnte.

Irgendwie aber ist bei diesem grundsätzlich hochlöblichen Unterfangen, diverse "Kulturen" zu vereinen, die Luft raus. Wir feiern die Geburt eines späten Superstars. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 24.4.2012)